FORSCHUNG_5 | Kapitel 1.0 bis 4.2 zurück zur Übersicht

1.0.  Einleitung

Die deutsche Volkswirtschaft hat in den ca. 60 Jahren seit Kriegsende die Phase des Wiederaufbaus und der Aufschluss zu den großen Industrienationen hinter sich gebracht. Mit der vollzogenen Wiedervereinigung kann man die deutsche Volkswirtschaft wohl heute wieder als eine Vollentwickelte ansehen. Dieser Zustand wird jedoch, äquivalent zu den anderen hochentwickelten Volkswirtschaften, in unseren Tagen von denkbar ungünstigen wirtschaftlichen Eckdaten begleitet. Geringes Wachstum, hohe Arbeitslosigkeit, niedrige Kapitalrendite und hoher Vermögensbestand bei sich gleichzeitig verstärkender Ungleichverteilung, trotz geringer Inflation, niedrigem Zins und hoher Exportquote. Dabei kann es sich um eine gewöhnliche Rezession handeln. Die kontinuierliche Abflachung der Konjunkturspitzen lassen aber auch Stimmen laut werden, die eine dauernde Stagnation vermuten, eventuell sogar mit deflationären Tendenzen.
Den problematischen Verhältnissen der realen Produktionssphäre steht ein rasant wachsendes Geldvermögen, eine weltweite immense Devisenspekulation [1] aber auch ein extrem anwachsender Schuldenberg gegenüber.
Als Hauptursache dieser Entwicklung im monetären Bereich wird von Einigen der Zinseszinseffekt benannt. Die konstante Verzinsung führt bei regelmäßiger Wiederanlage der Erträge zu einem exponentiellen Wachstum der Geldvermögen, die dann auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten den Kapitalstock überproportional zur arbeitsvermittelten Produktion erhöhen, so die Renditen verderben und dadurch Investitionen verhindern. [2]
Damit nicht genug, wie im Beispiel des Weizenkorns auf dem Schachbrett, das bei Verdoppelung auf jedem Feld mit der 64. Wiederholung sämtliche Kornkammern und Kornproduzenten der Erde mit der Auszahlung überfordert, sprengt exponentielles Wachstum, wenn nicht rechtzeitig eingegriffen wird, jedes natürlich begrenzte System. Wie eine Krebserkrankung durch exponentielles Zellwachstum am Ende den eigenen Organismus und damit sich selbst zerstört, würde auch ein solchermaßen anwachsendes Kapital nach dem Verzehr der begrenzt verfügbaren Ressourcen das gesamte Wirtschaftssystem zusammenbrechen lassen, mit wahrscheinlich verheerenden Auswirkungen auf Mensch und Natur. [3]

Um diesem Prozess entgegen zu wirken und die, durch das Kapitalüberangebot, sinkende Kapitalrendite anzuheben, kommt es zu periodischen Kapitalzerstörungen.
Beispiele solcher Kapitalzerstörung sind der Abbau von Überinvestition in der Rezession, kapitalstockneutrale Großinvestitionen wie Rüstung und Weltraumfahrt, aber im Extrem auch Krieg und Stellvertreterkrieg. [4]
Wenn auch durch solche Maßnahmen die Kontinuität des exponentiellen Wachstums des Kapitals und der Zusammenbruch immer wieder aufgeschoben werden kann, so ist dies kein Rezept für eine, später genauer zu beleuchtende, nicht weniger problematische Nebenwirkung des Zins- und Zinseszinssystems: Die stetige Umverteilung von dem Arbeitseinkommen Vieler zugunsten des arbeitslosen Vermögenseinkommens Weniger und damit die Gefahr zunehmender sozialer Spannungen in den Gesellschaften, die dieser Scherenentwicklung von Arm und Reich ausgesetzt sind. [5]

Die Anhänger der Freigeldtheorie vermuten nun die Hauptursache dieser beunruhigenden Entwicklung in unserem Geldsystem, das ihrer Meinung nach fehlerhaft ist und durch ein anderes ersetzt werden muss.
Dabei berufen sie sich auf den Verfasser der „Natürlichen Wirtschaftsordnug“: Silvio Gesell.
Dieser begründet in seinem Werk, neben der Forderung einer Bodenreform auf die in dieser Arbeit nicht besonders eingegangen wird, die Notwendigkeit eines alternativen Geldsystems und unterbreitet gleichzeitig einen konkreten Vorschlag zu dessen Realisierung.
Diese s.g. Freigeldtheorie soll im Rahmen der vorliegenden Untersuchung dahingehend überprüft werden, ob sie sich als zutreffend und realistisch erweist, sich als Grundlage zur Entwicklung eines Instrumentes zur Stabilisierung der heutigen Wirtschaft eignet oder als Utopie auf unbestimmte Zeit zurückgestellt werden muss.

Vor der Auseinandersetzung mit seiner Freigeldtheorie sollten wir uns jedoch ansehen, wer dieser Silvio Gesell war und vor welchem Hintergrund er wirkte.

Silvio Gesell wurde 1862 in St. Veit/Eifel als eines von acht Kindern geboren. Nach einer kaufmännischen Ausbildung, Militärdienst und Tätigkeit als Kaufmann wanderte er 1887 nach Argentinien aus und untersuchte die Ursachen der dortigen Wirtschaftskrise. 1892 veröffentlicht er seine ersten Schriften, z.B. „Die Reformation im Münzwesen als Brücke zum sozialen Staat“ und 1897 sein erstes Buch „Die Anpassung des Geldes und seiner Verwaltung an die Bedürfnisse des modernen Verkehrs“. Nach seiner Rückkehr nach Europa 1899 lebte er in der Schweiz, wo er die Werke von Smith, Marx, Proudhon, George und Fluerscheim studierte. Ab 1902 gibt er die Zeitschrift „Die Geld- und Bodenreform“ heraus. Nach einem weiteren Aufenthalt in Argentinien 1906 – 1911 siedelt er nach Eden bei Oranienburg um und wird, gemeinsam mit Georg Blumenthal, Herausgeber der Zeitschrift „Der Physiokrat“. Den ersten Weltkrieg verbringt Gesell auf seinem Bauerngut in der Schweiz, 1916 erscheint in Bern sein Hauptwerk „Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld“. 1919 fordert er in seiner Schrift „Abbau des Staates“ den Staat bis auf alles abzubauen „was nicht unbedingt von einem zentralen Gesichtspunkte aus geleitet werden muss“. Am 7. April 1919 wird Gesell zum Volksbeauftragten für das Finanzwesen in der ersten Bayerischen Räterepublik gewählt. Nach dem Sturz der Räteregierung am 13. April 1919 wurde er wegen Beihilfe zum Hochverrat angeklagt, jedoch freigesprochen. 1927 erscheint sein letztes Buch „Der abgebaute Staat“. Am 11. März 1930 stirbt Gesell in Eden. [6]

Trotz seiner Voraussagen von Inflation, Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit finden Gesells Ideen kaum Beachtung. Mit Ausnahme des 1921 von mehreren Anhängergruppen gegründeten „Freiwirtschaftsbund FFF“ wird er von den Parteien und Gewerkschaften seiner Zeit ignoriert. [7] Obwohl prominente Ökonomen wie Irving Fischer und J. M. Keynes, Gesell in ihren Werken ausdrücklich erwähnen und seine Ideen würdigen, hat sich an der Nichtbeachtung seiner Theorie in der Wirtschaftswissenschaft bis heute nicht viel geändert.
Das mag auch damit zusammenhängen, dass die Freigeldtheorie sich weder in marxistische noch neoklassische Ideologien einfügen lässt und darüber hinaus beide Paradigmen ausdrücklich ablehnt. Außerdem war Gesell eben Kaufmann und kein anerkannter Wissenschaftler. Das könnte begründen, warum seine Theorien trotz ihrer Nähe zur keyensianischen Theorie auch von deren Vertretern bislang kaum erwähnt werden.

In Zeiten zunehmend erschwerter wirtschaftlicher Verhältnisse scheint es zumindest fraglich zu sein, ob man sich den Luxus weiter leisten sollte, eine Idee zu ignorieren, die eventuell dazu beitragen kann, einige drängende Probleme unserer Wirtschaft zu lösen.
Deshalb soll hier ein Anfang gemacht werden, die Freigeldtheorie auf ihre Problemlösungs-fähigkeit hin zu überprüfen.

2.0.  Die Thesen der Freigeldtheorie

Im Folgenden sollen die Thesen der Freigeldtheorie vorerst unreflektiert vorgestellt und im Anschluss auf ihre Stichhaltigkeit überprüft werden.
Die Freigeldtheorie sieht im Zins die Hauptursache von Ausbeutung und Umverteilung. Darüber hinaus entkoppelt er die Entwicklung der Wirtschaft von der realen Produktions-sphäre und führt zu einem, durch das Anwachsen der Geldvermögen vermittelten, Wachstumszwang. Sie sucht daher einen Weg, den Zins zu überwinden.
Die Kritik am Zins ist nicht neu, bereits Aristoteles bezeichnet den Zins als Geld vom Gelde und daher als die widernatürlichste Art der Erwerbskunst. [8] Zinsverbote sind auch aus den Weltreligionen bekannt und haben eine lange und wechselhafte Geschichte.
Da diese Zinsverbote aber regelmäßig scheitern, soll die Ursache des Zinses ermittelt und aufgehoben werden, um so den Zins endgültig zu überwinden.
Im Gegensatz zu Marx behauptet nun Gesell, der Zins entsteht völlig unabhängig vom Privateigentum an den Produktionsmitteln, viel mehr entspringt er schon immer direkt aus dem Geldsystem. [9]
Geld ist gegenüber den Waren durch seine Wertaufbewahrungsfunktion im Vorteil und steht damit nicht unter einem äquivalenten Angebotsdruck. Der Geldbesitzer kann jederzeit den Austausch mit Waren verweigern und für den Verzicht auf diese Verweigerung vom Warenbesitzer eine Vergütung bzw. Zins erpressen. [10]
Dieser Vorteil des Geldes soll nun durch die Einführung einer neuen Geldform mit einer alternativen Umlaufsicherung aufgehoben werden. Mit der regelmäßigen Kaufkraftminderung von Bargeld, dem s.g. Schwund, wird das Geld den verderblichen Waren angepasst und so zu einem äquivalenten Tauschmittel mit Weitergabezwang gemacht. [11] Durch diesen Kunstgriff wird Geldzurückhaltung (Hortung) und Zinsforderung unsinnig.
Da der Zins bisher auf die Preise überwälzt wurde, wird die so vom Zinsdruck befreite Arbeit und Produktion zu einem beschleunigten Anwachsen des Kapitalstocks führen und dadurch den Zins zusätzlich auf einen Wert um Null drücken. [12]
Geldhortung, also der Entzug von Geld aus dem Wirtschaftskreislauf zur Aufbewahrung bei den einzelnen Wirtschaftssubjekten, z.B. aus spekulativen Gründen, ist für die Freigeldtheorie die Hauptursache einer unzureichenden Geldmengensteuerung der Zentralbanken. Da es mit Schwundgeld zu keiner Hortung mehr kommt kann die Geldmenge nun optimal den realwirtschaftlichen Bedürfnissen angepasst werden. Inflation und Deflation als Ausdruck des Ungleichgewichtes von Geldmenge und Sozialprodukt gibt es nicht mehr. [13]
Damit gehören auch die Konjunkturzyklen, ausgelöst durch den „Streik des Geldes“ bei überinvestitionsbedingtem Rückgang der Renditen, der Vergangenheit an. [14]
Der jetzt nur vom Volkseinkommen bestimmte und grundsätzlich unbeschränkte Warenabsatz ermöglicht Vollbeschäftigung bei steigenden Löhnen im Verhältnis des allmählich absinkenden Mehrwerts. [15]
Die Wirtschaft kann sich, ohne zinsvermittelten Wachstumsdruck, lediglich orientiert an den steigenden Produktions-, Arbeits- und Einkommensvolumen entwickeln.
Auf diese Weise wäre der Weg frei für die von der Freigeldtheorie propagierte „Marktwirtschaft ohne Kapitalismus“.

Angesichts solcher behaupteten Problemlösungskompetenzen würde die Freigeldtheorie tatsächlich zu einer neuen Wirtschaftsordnung führen, in der die meisten unserer heutigen Probleme, einschließlich der ökologischen, nicht mehr existieren. Ob die Freigeldtheorie diese Versprechen einlösen kann, wird davon abhängen, ob die Instabilität der Wirtschaft wirklich allein aus der Geldsphäre erklärt werden kann und, wenn dem so ist, ob der Fehler im Geldsystem tatsächlich durch die Einführung eines neuen Tauschmittels behoben wird.

3.0.  Die Grundlagen der Freigeldtheorie

Gesell bezieht sich ausdrücklich auf den, seinen Eigennutzen verfolgenden, „Homo öconomicus“ als Objekt seiner „Natürlichen Wirtschaftsordnung“. Er will den Menschen in dem Zustand belassen, in den ihn die historische Entwicklung versetzt hat, darauf bezieht sich auch das Adjektiv „Natürlich“. Weiterhin vertraut er auf den unverfälschten Wettbewerb, für den er aber noch die Herstellung völliger Ausstattungsgerechtigkeit fordert. Der dann zwangsläufig eintretende wirtschaftliche Erfolg dieser Gesellschaft ermöglicht ihr erst Schwächere zu unterstützen. [16]
Grundlage der Ausstattungsgerechtigkeit ist für ihn die Arbeitskraft des Einzelnen. Kapitalbesitz durch Erbschaft oder Schenkung sowie arbeitslose Zinseinkommen sind dagegen wettbewerbsverzerrend. Von Proudhon übernimmt er deshalb die These, dass unbehinderte Arbeitskraft den Kapitalstock in relativ kurzer Zeit bis zu einem Punkt erhöhen kann, an dem die Knappheit des Kapitals soweit aufgehoben ist, dass es jederzeit für jeden zur Verfügung steht, ohne einen Zins bezahlen zu müssen. Vorher muss aber das Geldsystem dahingehend verändert werden, dass es dem Geldbesitzer keinen Vorteil gegenüber dem Warenproduzenten einräumt und damit das Kapital keine Überlegenheit gegenüber der Arbeitskraft hat. [17]
Von Marx übernimmt er dessen Arbeitswerttheorie: „Ein Gebrauchswert oder Gut hat also nur einen Wert, weil abstrakt menschliche Arbeit in ihm vergegenständlicht oder materialisiert ist.“ [18] Er erkennt auch ein Ausbeutungsverhältnis von Kapital und Arbeit, führt es aber nicht, wie Marx, auf die ungleiche Allokation der Produktionsmittel zurück sondern mit Proudhon auf „die Übermacht im Geld“. [19]
Die Marxsche Äquivalenztheorie des Geldes lehnt Gesell jedoch völlig ab, ebenso wie die Goldwährungstheorie der Klassik. Die klassische Quantitätstheorie hingegen wird zu einem Grundstein der Freigeldtheorie.
Die Verneinung eines jeglichen „Inneren Wertes“ von Geld macht Gesell zu einem frühen Befürworter eines gesetzlich verankerten und durch das Sozialprodukt gedeckten Papiergeldes ohne die damals verbreitete Golddeckung.

3.1.  Die Geldtheorie von Marx

Gold ist für Marx das Material für den Wertausdruck der Waren, stellt aber vor allem ein allgemeines Maß der unterschiedlichen Warenwerte dar. Diese Eigenschaft, die „Waren als Werte vergegenständlichte menschliche Arbeit“ durch seinen konstanten, den Waren, weil ebenfalls Erscheinungsform von Arbeitszeit, äquivalenten Eigenwert als Maßstab zu dienen, sie untereinander Vergleichbar und damit Austauschbar zu machen, macht Gold erst zu Geld. [20] Ideell kann dadurch der Tauschwert einer beliebigen Ware in einer Geldsumme ausgedrückt und unabhängig von Zeit und Ort mit einem ebenfalls in einer Geldsumme bemessenem Tauschwert einer ganz anderen Ware verglichen werden. So wird es möglich für z.B. Eisen und Weizen ein in Geld ausgedrücktes Austauschverhältnis festzulegen, zu dem sich ein indirekter geldvermittelter Tausch ergibt. [21]
Der Austausch selbst vollzieht sich als Metamorphose in dem bekannten Formwechsel:
W - G - W. Die Ware ist reell Gebrauchswert. Der ideell im Preis ausgedrückte Warenwert geht auf das Gold als dessen reelle Wertgestalt über, wobei das Gold selbst nur das Wertmaterial des Geldes ist. Das Geld wiederum ist reeller Tauschwert, als solcher wird er in einem zweiten Schritt auf eine andere Ware übertragen und in dieser wieder in reellen Gebrauchswert zurückverwandelt. [22]
Geld ist „Geldware“ und dient also gleichermaßen als Wertmaßstab und Zirkulationsmittel.
Gleichzeitig ist Gold, aufgrund seiner Fähigkeit „die Ware als Tauschwert oder den Tauschwert als Ware“ festzuhalten, durch seine Wertaufbewahrungsfunktion auch Schatz-form. Obwohl Marx den klassischen Widerspruch des Geldes, gleichzeitig Wertaufbewahrungsmittel und Tauschmittel in einer Doppelrolle zu verkörpern, bemerkt, hält er die Schatzbildung als Ausgleichsreservoir für den schwankenden Geldbedarf der Warenzirkulation für unbedenklich. [23]
Ausgehend von der Wertidentität des Goldes mit den Waren, das durch Wertmaß- u. Zirkulationsfunktion zum Geld wird und als „ allein adäquates Dasein des Tauschwerts“ den bloßen Gebrauchswerten der Waren gegenüber tritt, beurteilt Marx Vorschläge für ein, nicht wenigstens goldgedecktes, gesetzlich garantiertes Papiergeld äußerst skeptisch und vermutet dahinter einen Betrugsversuch des Staates. [24]

Marx setzt, ähnlich wie die klassische Quantitätstheorie, die Geldmenge in Bezug zum Verhältnis von nominalem Sozialprodukt und der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes, [25]
zieht daraus jedoch völlig andere Schlüsse wie diese. Während die Quantitätstheorie das Preisniveau in Abhängigkeit zur exogen festgelegten Geldmenge sieht, werden die Preise für Marx ausschließlich in der realen Wirtschaftssphäre und hier besonders durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage bestimmt. Nur als Negativbestimmung kann der Mangel an Geld zu Stockungen im Produktions- u. Zirkulationsprozess führen. [26]

3.2.  Die (Neo)-klassische Geldtheorie

Auch für die Neoklassik ist Geld vor allem Warengeld. Gold u. Silber, Banknoten oder Wechsel wurden überwiegend nicht zur Geldmenge gezählt. Es dient ebenfalls als Zahlungsmittel und Wertmaßstab. Neben der Rechenmittelfunktion existiert aber lediglich das Transaktionsmotiv für die Kassenhaltung. Eine über die Funktion als Zahlungsmittel hinaus- gehende, eigenständige Wertaufbewahrungsfunktion und damit verbunden eine Geldhortung, wird wegen der Irrationalität eines Zinsverzichtes verneint. Ein Kernbestandteil der neoklassischen Geldtheorie ist die „Neutralität des Geldes“, wonach Geld keinerlei Einfluß auf das reale Geschehen in der Volkswirtschaft hat, sondern lediglich einen „Schleier“ über die realen Vorgänge legt. [27]

Die klassische Theorie geht damit von einer Dichotomie zwischen realem und monetärem Sektor aus, die sich gegenseitig nicht beeinflussen. Zur Erklärung verbleibt allein das Preisniveau, als Durchschnittspreis der Güter, das deren Austauschverhältnis zum Geld angibt. Folglich können die Geldpreise durch das Zusammentreffen von Geldangebot und Geldnachfrage auf einem „fiktiven Geldmarkt“ bestimmt werden. [28] Zum Ausdruck kommt diese Annahme in der Quantitätstheorie und zunächst in der s.g. Cambridgegleichung:
M = k * Yr * P º M * 1/k = Yr * P
Wobei die durchschnittliche Kassenhaltungsdauer des Geldes (k) und das reale Sozialprodukt exogen vorgegeben sind. Somit verbleibt nur noch die, ebenfalls exogen, von der Zentralbank festgelegte Geldmenge (M) als Bestimmungsgröße des Preisniveaus (P).
Es kommt somit auf dem „fiktiven Geldmarkt“ zu einem Gleichgewicht des Geldangebots
M * 1/k und der Geldnachfrage Yr * P. [29]

Irving Fisher definierte den reziproken Wert der Kassenhaltungsdauer (1/k) als Umlaufgeschwindigkeit (v) und kommt so zur bekannten Quantitätsgleichung:
M * v = Yr * P
Der verhaltenslogische Faktor der Geldnachfrage, die durchschnittliche Kassenhaltungsdauer der Wirtschaftssubjekte (k), wird damit durch den mechanistischen Begriff der Umlaufgeschwindigkeit (v) ersetzt und als konstanter Faktor eingeführt. [30]
Daraus folgt der zentrale Satz der Quantitätstheorie:
„Durch die vorgegebenen realen Größen v und Yr und der festzulegenden Geldmenge wird das Preisniveau bestimmt. Änderungen der Geldmenge schlagen sich allein in Preisniveauänderungen nieder und beeinflussen nicht die realen Größen.“ [31]

3.3.  Die Theoretische Grundlegung der Freigeldtheorie

Aus den beiden, eben beschriebenen Paradigmen, stellt sich Gesell nun die theoretische Grundlage seiner Freigeldtheorie zusammen. Von Marx übernimmt er die Arbeitswertlehre und das Ausbeutungsverhältnis, lehnt die Geldwerttheorie aber vehement ab. Vielleicht, weil die darin abgeleitete Ablehnung von nicht goldgedecktem Papiergeld, der Unbedenklichkeit privater Geldhortung und der Preisentwicklung aus der realen Sphäre nicht in sein Gedankengebäude passt?

Konkret hat Gesell aber der Wertlehre nicht viel Greifbares entgegenzusetzen. Er begnügt sich damit, sie als zu abstrakt zu bezeichnen und ihre mangelnde empirische Evidenz zu bemängeln, da die Wirtschaftssubjekte nichts von der Wertlehre wissen müssen, um erfolgreich ihren Geschäften nachzugehen. Er setzt jeglicher Geldwertlehre seine eigene Beobachtung entgegen: Der Preis beruht auf einer Schätzung, die sich aus dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage ergibt. [32] Die Zeit scheint aber Gesell, zumindest bei der Geldform, Recht zu geben. Die aus seiner Beobachtung extrapolierte Vorstellung von einem funktionierenden Papiergeld, das außer einer gesetzlichen Garantie keinen „inneren Wert“ benötigt und lediglich durch den produzierten Warenberg einer Volkswirtschaft gedeckt ist, hat sich in den führenden Industrienationen während des 20. Jahrhunderts durchgesetzt und bewährt.

Trotz der damit gleichermaßen abgelehnten Goldstandardtheorie der Neoklassik übernimmt Gesell die klassische Quantitätstheorie, wobei er sich aber der „Neutralität des Geldes“ verschließt und sich stattdessen dem direkten Zusammenhang von Geldmenge, Umlaufgeschwindigkeit, Preisniveau und Sozialprodukt widmet.
Bis heute gehen die Vertreter der Freigeldtheorie von einem natürlichen Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage am Gütermarkt aus. Dieses kann nur durch eine, an das Sozialprodukt, unangepasste Geldmenge oder durch den Entzug nachfragewirksamer Zahlungsmittel durch private Geldhortung gestört werden. Das Geldsystem ist daher dahingehend zu ändern, dass Geldhortung verhindert wird, um die Umlaufgeschwindigkeit konstant zu halten und die Geldmenge anpassbar an das Sozialprodukt zu machen. Durch die Konzentration auf die Geldsphäre als alleiniger Verursachungsort wirtschaftlicher Störungen, ist die Freigeldtheorie extrem auf die Konsistenz der Quantitätstheorie angewiesen, man kann sagen, sie steht und fällt mit ihr.

Gesell selbst entgeht dieser Frage, indem er für das bestehende Geld reklamiert, dass hier das Geldangebot nicht vom Geldvorrat abhängt. Anders als bei Waren, deren Preis durch Angebot und Nachfrage bestimmt werden und das Angebot gleich dem Vorrat ist, gibt es diese Übereinstimmung beim Geld nicht. Durch Hortung kann das Geldangebot vom Geldbestand verschieden sein und der entstehende Preis des Geldes ist nur scheinbar im Gleichgewicht. Daher ist für Gesell die „Übertragung der rohen Quantitätstheorie auf das Geld nicht statthaft.“ [33]
Erst das von Gesell geforderte Freigeld stellt das Gleichgewicht von Geldangebot und Geldvorrat her und verifiziert damit die Quantitätstheorie, die doch bereits für die Konsistenz der Freigeldtheorie von so großer Bedeutung ist. [34]

4.0.  Was ist Geld?

Da es eine Vielzahl von Gelddefinitionen, -begriffen, u. -formen gibt, man bedenke nur die drei unterschiedenen Geldmengen M1, M2, M3 der Bundesbank, wollen wir uns im weiteren der freigeldtheoretischen Definition anschließen, nach der nur Geldformen mit einem direkten Nachfragepotential, also Bargeld und Giralgeld durch Scheck und Kreditkarte, als Geld bezeichnet werden. [35]

Bereits Aristoteles beschreibt den Übergang von der Urtauschgesellschaft zur Arbeitsteilung höher entwickelter Gesellschaftsformen, in welchen die Tauschpartner örtlich getrennt nicht mehr notwendigerweise zusammentreffen. Daher wird ein von allen anerkanntes Medium als allgemeines Tauschmittel benötigt, das Geld. [36] Geld kann jedes Gut sein, auf das man sich einigt. Wegen ihrer Mobilität, der einfachen Einteil- u. Abwägbarkeit und Handlichkeit wählte man Edelmetalle, wie Silber und Gold, die später zur nochmaligen Vereinfachung geprägt und dadurch mit Werteinheiten versehen wurden. [37]

Das Geld hat seinen Wert also nicht von Natur aus, sondern durch Übereinkunft und Kraft Gesetz, es kann daher auch verändert und aus dem Umlauf gezogen werden. [38]
Eine Tatsache, die von den Anhängern des Goldstandards vehement bestritten wird. Gesell versucht, noch aufwendig abzuleiten, dass Papiergeld nicht notwendig durch Gold gedeckt sein muss, sondern eine gesetzliche Garantie ebenfalls diese Deckung übernehmen kann. Eine Ansicht, die heute wohl in der Praxis belegt sein dürfte.
Unser heutiges Geld hat aber vom Gold seine Doppelrolle als Tauschmittel und gleichzeitiges Wertaufbewahrungsmittel geerbt.
In diesem für die Freigeldtheorie zentralen Punkt stellt Gesell heraus, dass Geld neben seiner öffentlichen Funktion als allgemeines Tauschmittel, dass den Fluss der Waren ermöglicht, gleichzeitig auch eine private Funktion als Ware, die privat angeeignet werden kann, beinhaltet. Dieser private Charakter des Goldes steht im Widerspruch zu seiner öffentlichen Tauschmittelfunktion und ermöglicht die Hortung, durch die das Gold dem gesamt-wirtschaftlichen Kreislauf entzogen werden kann. In Bezug auf diese Widersprüchlichkeit sind Gold und Geld identisch. [39]
Ebenso wie Gold ist Geld kein Äquivalent zu den Waren, gegen die es eingetauscht werden soll, im Gegenteil, es ist den meisten Waren überlegen und zwar dadurch, dass es unverderblich ist. Fast alle Waren verderben, verfaulen, verrotten, veralten mehr oder weniger schnell im Laufe der Zeit. Darüber hinaus verursachen sie Lager- und Pflegekosten. Gold bzw. Geld verursacht hingegen so gut wie keine, von Keynes so bezeichneten, „Durchhaltekosten“. [40]
Um diese Kosten so gering wie möglich zu halten, ist der Produzent darauf bedacht, seine Waren so schnell als möglich zu verkaufen. Die Waren stehen also unter einem Angebotsdruck. Diesen kennt das Geld nicht, es kann jederzeit vom Tausch zurückgehalten werden um für seinen Besitzer einen Vorteil zu erwirken. Das Geld kann also im Gegensatz zu den Waren streiken, daher ist das Geld im Vorteil gegenüber den Waren. [41]
Eingeschränkt wird diese Streikmöglichkeit des Geldes lediglich durch die Geldentwertung der Inflation. Die Zinshöhe wird nach oben hin durch alternative Tauschmittel, wie z.B. der Wechsel, begrenzt. Der Kreditwettbewerb hat aber keinen Einfluss auf die Zinshöhe. [42]
Verzichtet der Geldbesitzer auch auf Zinszahlungen für das Verleihen, eine Möglichkeit, die Keynes gegen die neoklassische Position u.a. durch das von ihm begründete Spekulationsmotiv als rationale Entscheidung von Wirtschaftssubjekten abgeleitet hat, [43] kann es zu einer Hortung des Zahlungsmittels kommen. Zurückgehaltenes Geld besitzt also einen „Liquiditätsvorteil“, ein Begriff, der in den 30er Jahren von Keynes geprägt wurde. [44]
Ein weitere nachfragewirksame Geldform ist das Buchgeld auf Girokonten, über das z.B. mit Scheck und Kreditkarte direkt, durch Guthabenübertragung, [45] verfügt wird. Diese Geldform hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts zunehmend entwickelt.

Dem gegenwärtigen Geld kommen somit zwei Eigenschaften zu, die für die Freigeldtheorie sehr problematisch sind. Es kann ohne nennenswerten Verlust gehortet und so dem Wirtschaftskreislauf entzogen werden, ohne selbst unter einem Angebotszwang, wie die Waren, zu stehen und durch die Streikmöglichkeit muss das Geld durch Zinszahlungen über Kredite auf den Kapitalmarkt zurückgelockt werden.

4.1.  Das Schwundgeld

Wie bereits erwähnt, entstehen für die Freigeldtheorie die meisten Probleme unserer Wirtschaft, z.B. der ständig wachsende Bestand an Geld- u. Sachvermögen sowie die zunehmend ungerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen und der Zwang zu wirtschaftlichem Wachstum, aus der Unzulänglichkeit des gegenwärtigen Geldsystems. So kommt Gesell zu einem verblüffend einfachen Vorschlag, der alle diese Probleme zwar allmählich, aber unaufhaltsam, lösen soll.
Anstatt eines, mit dem Liquiditätsvorteil ausgestatteten Geldes, das durch Zinszahlungen im Umlauf gehalten wird, um nicht durch Hortung der Nachfrage entzogen zu werden, soll dem nachfragewirksamen Bar- u. Giralgeld eine Liquiditätsgebühr auferlegt werden, wenn es vom Umlauf zurückgehalten wird. Diese Gebühr soll dann der Allgemeinheit zugute kommen. Vergleichbar mit dem „Standgeld“ unentladener Eisenbahnwaggons wird das Geld mit den gleichen „Durchhaltekosten“ belegt, wie die Waren. [46] Es verliert dadurch seinen Vorteil gegenüber diesen, steht ebenfalls unter dem Angebotszwang und wird dadurch ein „echtes“ äquivalentes Tauschmittel. [47]
Um den Kosten der Geldhaltung zu entgehen, würde nicht direkt für Konsum verwendetes Geld, auch bei niedrigen Zinsen, als Kredit verliehen werden und somit konstant die Mittel für Investitionen zur Verfügung stellen. [48]
Die Höhe der Rückhaltegebühr soll 1/1000 des Geldwertes wöchentlich betragen, also 5,2% im Jahr. [49] Aufgrund der Zinsfreiheit nannte Gesell sein Zahlungsmittel „Freigeld“. [50]
In der Praxis soll das Freigeld als Papiergeld in Stückelung von 1 – 1000 Mark ausgegeben werden. Die Scheine haben auf der Rückseite 12 Felder, in die der Inhaber jeden Monat Wertmarken, in der Höhe der Rückhaltegebühr, einklebt. Die Marken in Stückelung von 1 – 50 Pfennig sind gleichzeitig der Ersatz für Kleingeld. Fehlende Marken lassen den Wert des Scheins in entsprechender Höhe schwinden, daher bezeichnet Gesell dieses Zahlungsmittel auch als Schwundgeld. [51]
Die Gesamtgeldmenge soll dem jeweiligen Sozialprodukt angepasst werden. Dies ist jetzt problemlos möglich, da es keine Hortung mehr gibt. Geldmengenerhöhung erfolgt durch nicht steuerfinanzierte Staatsausgaben. Die Geldmengenverringerung besorgt der Schwund entweder automatisch oder die abgelaufenen Geldscheine werden nur teilweise ersetzt. [52]

Das Ergebnis steht für Gesell zweifelsfrei fest: „Mit dem Freigeld ist die Nachfrage nicht mehr von Geld zu trennen, sie ist nicht mehr als eine Willensäußerung seiner Besitzer zu betrachten. Das Freigeld ist kein Mittel zur Nachfrage, sondern ist an sich diese Nachfrage, die fleischgewordene Nachfrage, die als Körper dem Angebot entgegentritt, das seinerseits auch nie etwas anderes war und ist.“ [53]

Die Vertreter der neueren Freigeldtheorie schließen Giralgeld durch Korrekturbuchung auf den Konten zum Stichtag ein und unterbreiten alternative Schwundgeldformen, wie z.B. ein kostenpflichtiger Zwangsumtausch. Heute wird in erster Linie eine „Liquiditätssteuer“, also eine laufende Verrechnung, auf nachfragewirksame Buchgeldbestände, ähnlich der Zinsabschlagssteuer, diskutiert. [54] Für Bargeld soll nach Creutz eine gesetzliche Weitergabepflicht in Verbindung mit angedrohtem Zwangsumtausch einzelner Geldscheinstückelungen genügen. [55]

4.2.  Das Freigeldexperiment von Wörgl

1932, auf dem Höhepunkt der deflationären Weltwirtschaftskrise, beschloss der Wohlfahrtsausschuß der Tiroler Gemeinde Wörgl die Ausgabe eines Notgeldes, das nach den Prinzipien der gesellschen Freigeldlehre mit einem periodischen Schwund behaftet war. Die s.g. „Arbeitsbestätigungen“ wurden in Papierscheinen zu 1, 5, 10 ÖS mit einem Gesamtwert von 12.000 ÖS ausgegeben. Der Schwundbetrag wurde als „Notabgabe“ bezeichnet und betrug 1% jeweils zum Ende des Monats und wurde durch das Bekleben mit einer Stempelmarke entrichtet. Die Ausgabe erfolgte über die Entlohnung der Gemeindebediensteten, die ihren Lohn anfänglich zu 50% und später zu 75% in Schwundgeld erhielten. Die gesamte ausgegebene Summe wurde bei der Raiffeisenkasse hinterlegt, die das Schwundgeld auch als Einlage annahm und gegen eine Gebühr von 2% in Schilling umtauschte. [56]

Zum Zeitpunkt der Einführung stand Wörgl vor folgender Situation:
Bei einer Gesamtbevölkerung von 4000 Menschen waren ca. 400 arbeitslos (mit Umgebung sogar ca. 1100). Den stark rückläufigen Steuereinnahmen und der leeren Gemeindekasse standen dringend notwendige Sanierungen der Infrastruktur, insbesondere der Strassen und eine Verschuldung von 1.200.000,- Schilling gegenüber. Durch die anhaltende Deflation, also dem Verfall der Preise, mussten die größten Produktionsstätten und Arbeitgeber der Gemeinde schließen. [57]

Innerhalb kürzester Zeit nach Einführung des Notgeldes war eine deutliche Belebung der Wirtschaftstätigkeit spürbar. Außergewöhnliche Preiserhöhungen wurden nicht beobachtet und die Arbeitslosigkeit konnte um 25% gesenkt werden, während sie in Österreich immer noch anstieg. Eine deutliche Erhöhung der Umlaufgeschwindigkeit war ebenso zu beobachten, wie die hohe Akzeptanz des Zahlungsmittels in der Bevölkerung. Zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur von 150.000 ÖS vermittelten eine Leistung von 267.000 ÖS zu damaligen Preisen und 220 Familien wurden aus der schwundgebührfinanzierten Suppenküche ernährt. [58]
Das Experiment musste bereits nach 10 Monaten beendet werden, da die Nationalbank letztinstanzlich ein Verbot erwirkte. Zu diesem Zeitpunkt haben sich bereits weitere 178 Gemeinden in ganz Österreich mit Schwundgeldplänen beschäftigt. [59]
Wörgl erhielt internationale Aufmerksamkeit. Der französische Ministerpräsident a.D. Didier und Irving Fischer (Stamp Scrip) sind besonders prominente Beispiele eines rege einsetzenden Besucherstromes. Fisher empfahl in der Folge der amerikanischen Regierung „die Sicherung des Geldumlaufs als eine Maßnahme, die (...) dazu angetan ist, uns bei richtiger Anwendung in wenigen Wochen aus der Depression herauszuhelfen“. [60]
Seither ist das Schwundgeldexperiment von Wörgl das Paradebeispiel der Freigeldtheorie für einen empirischen Nachweis der Bewährung ihrer Thesen.

Häufig wird dagegen, von Seiten der Kritiker, auf zwei Besonderheiten des Experiments hingewiesen. Zum einen sei der entscheidende Grund für die Reduktion der Arbeitslosigkeit in der prompten Umsetzung von Arbeitsbeschaffungsprogrammen zu sehen, die aber nur finanziert werden konnten, weil mit Einführung des Schwundgeldes unerwartet viel rückständige Gemeindesteuern entrichtet wurden. Zum anderen hat der gemeinschaftliche Entschluss der Bevölkerung zum Experiment in dieser Notzeit zu einer grundlegenden Änderung der Erwartungen geführt, da neue Hoffnung um sich griff. [61]
Darüber hinaus muss aber gegen zu euphorische Schlussfolgerungen aus dem Experiment zusätzlich einschränkend, neben der zeitlichen und räumlichen Begrenztheit, bemerkt werden, dass die Arbeitsbescheinigungen eine komplementäre nicht, wie von Gesell gefordert, am Preisstand orientierte Indexwährung war, die zu keiner eigenständigen Kreditökonomie führte. [62]
Immerhin konnte die Wirkung eines mit Gebühren belasteten, umlaufgesicherten Zahlungsmittels praktisch, wie in einem Feldversuch, erprobt werden.

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Anmerkungen:

[1] Stefan Risse berichtet z.B. in der „Telebörse“ (ntv) am 3.3.2004, dass man in Börsenkreisen im Moment von ca. 1 Billion US $ Devisenhandelsvolumen ausgeht, täglich.
[2] Vgl. Creutz, Helmut: „Das Geldsyndrom“, Ullstein Verlag, 4. Aufl., Berlin, 1997, Kap 23, S. 302 ff
[3] Vgl. Senf, Bernd: „Der Nebel um das Geld“, Gauke, Lütjenburg, 1996, Kap. 7.4., S. 94 - 95
[4] Vgl. Creutz, (1997), Kap. 29, S. 378 - 380
[5] Vgl. Creutz, (1997), Kap. 22, S. 297 - 300
[6] Vgl. https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/01603477.2015.1099446
[7] Vgl. ebd.
[8] Vgl. Aristoteles, „Politik“, Rowolt Verlag, Hamburg, 1994, Buch I, Kap. 11, S. 67
[9] Vgl. Gesell, Silvio, „Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld“, Logos Verlag, Lüdenscheid, 1950, Teil 3, Kap. 2, S. 111
[10] Vgl. ebd., S. 113
[11] Vgl. ebd., Teil 2, Kap. 1, S. 80
[12] Vgl. Gesell, (1950), Teil 3, Kap. 3, S. 118 + Kap. 5, S. 126
[13] Vgl. Creutz, (1997), Kap. 9, S. 140 - 142
[14] Vgl. Gesell, (1950), Teil 2, Kap. 1, S. 82
[15] Vgl. ebd.
[16] Vgl. Gesell, (1950), Vorwort, S. 8 - 10
[17] Vgl. Gesell, (1950), Einleitung, S. 11 - 16
[18] Vgl. Marx, Karl, „Das Kapital“, Dietz Verlag, 9. Aufl., Berlin, 1960, Kap. 1, S. 43
[19] Vgl. Gesell, (1950), Einleitung, S. 13
[20] Vgl. Marx, (1960), Kap. 3, S. 99
[21] Vgl. ebd. S. 102 - 103
[22] Vgl. Marx, (1960), Kap. 3, S. 110 - 111
[23] Vgl. ebd., S. 137 - 140
[24] Vgl. ebd., S. 130 - 135
[25] im Original: „Preissumme der Waren / Umlaufzahl gleichnamiger Geldstücke = Masse des als Zirkulationsmittel funktionierenden Geldes“, S. 125
[26] Vgl. Marx, (1960), Kap. 3, S. 125 – 126 + FN 77
[27] Vgl. Ziegler, Bernd: „Geschichte des ökonomischen Denkens“, Oldenbourg Verl., München, 1998, Kap. 3.5.3.3., S. 176 - 177
[28] Vgl. Ziegler, (1998), Kap. 3.5.3.3., S. 177 - 178
[29] Vgl. ebd.
[30] Vgl. Ziegler, (1998), Kap. 3.5.3.3., S. 179
[31] Vgl. ebd., S. 179
[32] Vgl. Gesell, (1950), Teil 1, Kap. 2, S. 20 - 23
[33] Vgl. Gesell, (1950), Teil 1, Kap. 14, S. 73 - 74
[34] Vgl. Gesell, (1950), Teil 2, Kap. 5, S. 102
[35] Vgl. Creutz, (1997), Kap. 31, S. 417
[36] Vgl. Aristoteles, (1994), Buch I, Kap. 9, S. 63
[37] Vgl. ebd.
[38] Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1133 a 30, entnommen aus Ziegler, Bernd: „Geschichte des ökonomischen Denkens“, Oldenbourg Verl., München, 1998, Kap. 3.1.1., S. 68
[39] Vgl. Senf, (1996), Kap. 3.3., S. 37 - 39
[40] Vgl. ebd., Kap. 3.4., S. 41
[41] Vgl. Gesell (1950) Teil 1, Kap. 10, S. 54 - 58
[42] Vgl. Gesell, (1950), Teil 3, Kap. 1, S. 114
[43] Vgl. Keynes, John M., “Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes”, Duncker & Humblot, 9. Aufl., Berlin, 2002, Kap. 13, S. 140 – 146 + Kap. 15, S. 165 - 167
[44] Vgl. Senf, (1996), Kap. 3.4., S. 42
[45] Vgl. Creutz, (1997), Kap. 1, S. 29 - 30
[46] Vgl. Kennedy, Margit: „Geld ohne Zinsen und Inflation“, Goldmann Verlag, München, 1990, Kap. 2, S. 40 - 41
[47] Vgl. Gesell, (1950), Teil 2, S. 84
[48] Vgl. Senf, (1996), Kap. 7.5.7., S. 122
[49] Vgl. Gesell (1950), Teil 2, S. 80
[50] Vgl. Kennedy, (1990), Kap. 2, S. 41
[51] Vgl. Gesell, (1950), Teil 2, S. 79 - 80
[52] Vgl. ebd., S. 83
[53] Vgl. Gesell, (1950), Teil 2, S. 86; Eine materialistische, mechanistische Einschätzung die nicht zuletzt Keynes versucht hat, durch die Ableitung und Untersuchung der Erwartungshaltung der Wirtschaftssubjekte, weitgehend zu widerlegen.
[54] Vgl. Ehrenteich, Norman: „Geldpolitik angesichts der Nullschranke der Nominalzinsen: Ein Überblick“, Zeitschrift für Sozialökonomie, Gauke Verlag, Lütjenburg, 3/2003, S. 23
[55] Vgl. Creutz, (1995), Kap. 32, S. 432 - 433
[56] Vgl. Niederegger, Gerhard: „Das Freigeld – Syndrom“, Verlag für Ethik und Gesellschaft, Wien, 1997, Kap. 2, S. 47
[57] vgl., Schneeganz, Tobias: Diss. „Umlaufgesicherte Komplementärwährungen“, Zeuthen, 2003, Kap. 5.2.1., S. 38
[58] Vgl. Schneeganz, (2003), S. 43
[59] Vgl. Niederegger, (1997), Kap. 2, S. 48
[60] Vgl. Schneeganz, (2003), S. 47
[61] Vgl. Niederegger, (1997), S. 49; Vor dem Hintergrund keynsianischer Analyse mag es unklar bleiben warum ausgerechnet diese beiden Argumente gegen das Schwundgeld sprechen, wenn nachgewiesen wird das eben dieses ein „Deficit Spending“ erst ermöglichte und zudem die Erwartungen positiv verändern konnten.
[62] Vgl. Schneeganz, (2003), S. 46