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Gerhard Senft:
Antikapitalismus von Rechts? – Eine Abrechnung mit Gottfried Feders „Brechung der Zinsknechtschaft“
Überarbeitete Fassung eines Vortrag bei der 1. CGW-/INWO-Tagung am 29.4.1995 in Birkenwerder bei Berlin - zuerst veröffentlicht in der Zeitschrift für Sozialökonomie 106. Folge / 1995, S. 18–32.
Übersicht
1 Vorbemerkungen
2 Einführender Exkurs: Die Wirtschaftspolitik im Dritten Reich
3 Gottfried Feder und das Wirtschaftsprogramm der NSDAP
3.1 Die Emissionsänderung nach Feder
3.2 Kritik des „Feder-Geldes“
4 Gottfried Feder und die anderen „Brecher der Zinsknechtschaft“
4.1 Die Vorläufer Feders
4.2 Unterschiede zwischen Gottfried Feder und Silvio Gesell
4.2.1 Gesell und Feder zum Geldwesen
4.2.2 Die unterschiedlichen Thesen zur Währungsreform
4.2.3 Gesell und Feder zum Wesen des Kredits
4.2.4 Gesell und Feder zu den Grundsätzen der Wirtschaftsordnung
4.2.5 Gesell und Feder zum Thema Außenhandel
4.2.6 Gesell und Feder zur Bodenreform
5 Resümé
Anmerkungen
1 Vorbemerkungen
Vorauszuschicken ist, dass weder Gottfried Feders Stellenwert als historische Persönlichkeit noch eine seiner ‚fachlichen’ Qualitäten eine besondere Auseinandersetzung mit seiner Person heute rechtfertigen. Wenn die Konfrontation mit Feder dennoch stattfindet, dann primär deswegen, weil er Angehöriger einer politischen Richtung war, deren soziales Relevantwerden mit einer unvergleichlichen Katastrophe verbunden war. Die Beschäftigung mit dem Rechtsextremismus und seinen Trägern ist und bleibt eine Notwendigkeit. Zugleich stellt sich aber bei der Behandlung eines NS-Vordenkers die prinzipielle Frage, nach welchen Maßstäben eigentlich ‚Theorieelemente’ des Nationalsozialismus aufzuarbeiten sind.
Helmut Woll stellt in seinem Buch „Die Wirtschaftslehre des deutschen Faschismus“ klar: „Für Horkheimer und Adorno ... galten nur rationale Kriterien für den richtigen, für den wissenschaftlichen Umgang mit ‚Theorien’. Dies mag richtig sein für den Liberalismus, Sozialismus und für individualistische Theorien, da diese innerhalb eines rationalen Gedankengebäudes aufgebaut sind. Somit sind sie mit Hilfe der ideologiekritischen Methode zu betrachten, das heißt, es ist sinnvoll, die rationalen Argumentationslinien herauszuarbeiten und sie mit der Wirklichkeit zu konfrontieren. Dieser Methode entzieht sich der Nationalsozialismus jedoch, da er von sich behauptet, nicht Wissenschaft, sondern Weltanschauung zu sein, aufgebaut gegen und jenseits der Vernunft - aufbauend auf Blut und Rasse.“ [1]
Der wissenschaftlichen Herangehensweise bleibt in jedem Fall kaum eine andere Möglichkeit, als - ausgehend von einer Metaebene - zu erfragen, wie eine Weltanschauung in sich strukturiert ist und welche konsistenten oder auch inkonsistenten Aussagen sich aus ihr ableiten lassen. Macht man Gottfried Feder als langjährigen „Wirtschaftstheoretiker“ der NSDAP zum Gegenstand einer Untersuchung, so ist es wahrscheinlich sinnvoll, mit einem einführenden Exkurs zum Thema “Wirtschaftspolitik im Dritten Reich“ zu beginnen. Davon ausgehend wäre nachzuforschen, welche Anknüpfungspunkte zu der von Feder wesentlich mitgestalteten NS-Wirtschaftsprogrammatik gegeben sind. Eine Darstellung von Feders Auffassungen und eine Kritik derselben wären jedoch unvollständig, wenn nicht auch jener Personenkreis, von dem Feder direkt oder indirekt beeinflusst wurde, in dieser Betrachtung Platz finden würde. Ein letztes Kapitel wird dem umstrittenen Thema „Gottfried Feder und Silvio Gesell“ gewidmet Sein. [2]
2 Einführender Exkurs: Die Wirtschaftspolitik im Dritten Reich
Der Machtantritt des Nationalsozialismus 1933 brachte in Deutschland de facto den Übergang zu einer Planwirtschaft. Zwar blieb die Struktur einer Privateigentumsordnung weitgehend unangetastet, aber die generalstabsmäßige Planung der Produktion, die Befehlshierarchie von den Spitzen des Staates über den „Betriebsführer“, der auch „Offizier der Wirtschaft“ genannt wurde, hin bis zur „Gefolgschaft“ zeigen deutlich das Bild einer Kommandoökonomie und den Trend zu einer ausgeprägten Militarisierung der Gesellschaft. Das vorrangigste imperialistische Ziel der Nationalsozialisten war - und dem versuchten sie mit militärischen Mitteln auch bald näher zu kommen - die Schaffung einer Großraumwirtschaft als einer autarken Wirtschaftszone in Europa.
Kernstück der Wirtschaftspolitik der NS-Diktatur bildeten die Maßnahmen zur Geldschöpfung. Ab 1933 hatte sich in etlichen Staaten die Tendenz durchgesetzt, die große Wirtschaftskrise bzw. den Prozess einer kumulativen Deflation durch Lockerung der Deckungsverpflichtungen, durch öffentliche Geld- und Arbeitsbeschaffung zu durchbrechen. Für Deutschland ist allerdings auffällig, dass die Maßnahmen zur Geldschöpfung einen außerordentlich exzessiven Charakter annahmen und dass sie primär einer aggressiven Aufrüstungspolitik dienten. [3] Da das NS-Regime in der Anfangsphase noch mit starken Bündnispartnern aus der alten gesellschaftlichen Elite zu rechnen hatte, war es ganz offensichtlich notwendig, eine ‚seriöse’ juristische Konstruktion zu finden, die eine entsprechende Geldmengenausweitung gestatten sollte. Die Schaffung einer solchen Konstruktion wurde ermöglicht, indem eine Reihe von Scheingesellschaften ins Leben gerufen wurde, für die der deutsche Staat die selbstschuldnerische Bürgschaft zu übernehmen hatte. Mit einem gewissen Grundkapital (bereitgestellt von Krupp, Siemens etc.) ausgestattet, akzeptierten die Betreiber dieser Scheinfirmen Wechsel von den Finanz- und Wirtschaftsverantwortlichen des NS-Regimes; diese Wechsel wurden in der Folge zur Deckung für das neu geschöpfte Papiergeld verwendet. Die „Metallurgische Forschungsgesellschaft m.b.H.“ als bekanntestes Unternehmen dieser Art akzeptierte bei einem Grundkapital von 1 Million RM zwischen 1934 und 1938 Wechselsummen im Ausmaß von 12 Mrd. RM. Die gigantische Geldmengenausweitung war nur möglich, indem eine straffe Preisregulierung zum Zurückstauen inflationärer Effekte eingeführt wurde. Der Bevölkerung konnte die ‚Kostenwahrheit’ einer solchen Wechselreiterei zumindest temporär vorenthalten werden. Mit mächtigem Propagandaaufwand lobte das Regime die Beschäftigungseffekte seiner Maßnahmen, wobei der primäre Zweck dieser Geld- und Arbeitsbeschaffungspolitik im Hintergrund blieb. Denn, während die öffentlichen Investitionen im zivilen Bereich vergleichsweise nur zaghaft anwuchsen, begannen ab 1934 die Ausgaben für Rüstungsgüter zu explodieren. Zwischen 1933 und 1938 wuchs die Geldmenge im Deutschen Reich von 3,48 Mrd. auf 10,4 Mrd. RM, bis 1939 erforderte der gesamte Finanzbedarf eine Ausweitung der Geldmenge auf 14,5 Mrd. RM; das weitere Ansteigen ist von der Phase der Blitzkriege und der Gebietseroberungen geprägt (Geldmenge August 1942: 21,8 Mrd. RM). Das Jahr der Kriegswende (Stalingrad 1943) brachte ein exponentielles Anwachsen der Geldmenge; allein von Mai 1943 bis August 1943 ist eine Aufstockung der umlaufenden Geldmittel von 25,92 Mrd. auf 29,03 Mrd. RM feststellbar. [4] Die Gelderzeugungs- und Menschenvernichtungsmaschinerie des Dritten Reiches spuckte bis 1945 rund 73 Mrd. RM aus und bescherte damit dem monetären Sektor ein inflationäres Desaster. Im Zuge der deutschen Währungsreform von 1948 mussten 9/10 der umlaufenden Geldmittel wieder eingezogen werden.
3 Gottfried Feder und das Wirtschaftsprogramm der NSDAP
3.1 Die Emissionsänderung noch Feder
Die entscheidende Frage, die sich nun stellt, ist die, inwieweit die wirtschaftspolitische Praxis im Dritten Reich von der Programmatik der NSDAP geprägt wurde. Alle wesentlichen historischen Untersuchungen neueren Datums unterstützen die plausibel erscheinende These, dass programmatische Erklärungen in der Führungsgarnitur der NSDAP eine nur untergeordnete Rolle spielten. [5] Knappe und möglichst vage Formulierungen sollten den Interpretationsspielraum erweitern und es zugleich gestatten, den verschiedenen potentiellen Anhängerschichten auch unterschiedliche Aussagen zukommen zu lassen (d.h. Aussagen, die einander auch durchaus widersprechen konnten). In einem Punkt aber dürfte eine gewisse Vorsicht angebracht sein: Die Ankündigung einer Politik der Geldmengenexpansion findet sich ganz klar entnehmbar in den Schriften zur „Brechung der Zinsknechtschaft“ des langjährigen NS-Wirtschaftssprechers Gottfried Feder (1883-1941). [6]
Wer war nun Gottfried Feder? [7] Der aus Würzburg stammende Beamtensohn hatte seine wesentlichen Erfahrungen, die seine Wirtschaftsauffassung prägen sollten, vor dem Ersten Weltkrieg in Bulgarien gesammelt, als er als Geschäftsführer einer Münchner Baufirma zahlreiche staatliche Bauprojekte beaufsichtigte, die mit Krediten der Disconto-Gesellschaft finanziert wurden. In der Kriegszeit betrieb Feder angeblich ‚autodidaktische’ finanzwissenschaftliche Privatstudien und er arbeitete als selbständiger Ingenieur am Projekt eines Eisenbetonschiffes für die Kriegsindustrie. Der kühne Schlachtenkreuzer konnte seinem Schöpfer aber keine Lorbeeren mehr einbringen, da das Schiff erst im November 1918 vom Stapel lief. Für Feder bedeutete dieses Zuspätgekommensein fast den finanziellen Ruin. Der Kriegsausgang dürfte für Feder, der immer wieder auch Kontakte zu obskuren Germanen- und Antisemitenbünden suchte, aber in mehrfacher Hinsicht traumatisch gewirkt haben. Ab Beginn 1919 erschienen in knappen Abständen zahlreiche Schriften und Aufsätze rabiaten Inhalts, in denen Feder die Umbruchszeit in Deutschland auf seine Art verarbeitete. Sein Artikel „Das Radikalmittel“ im Februarheft der „Süddeutschen Monatshefte“ [8], die Broschüre „Der Staatsbankrott - die Rettung“ [9] und sein berüchtigtes „Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft“ [10] spiegelten seine Grundeinstellung bereits deutlich wider. [11]
Feder nimmt die verschiedenen wirtschaftlichen Probleme Deutschlands und anderer Länder, wie sie vor 1914 bestanden und nach dem Ersten Weltkrieg sich noch verschärft hatten, als Ausgangsbasis für seine Überlegungen und er reduziert die zu seiner Zeit weit verbreitete Kritik an Finanzkapital und Zinswirtschaft zur monokausalen These, dass die Anleihenpolitik vielen Staaten die „Versklavung ... durch die goldene Internationale [12] gebracht habe. Die vom sog. „Weltjudentum“ und vom „Freimaurertum“ gesteuerte internationale Hochfinanz unterjoche durch Vergabe von Geldkrediten und durch wucherisches Einfordern von Zinszahlungen ganze Völkerschaften und ruiniere damit jede nationalwirtschaftliche Struktur. Nach Feder sind daher alle ökonomischen Defekte und Problemlagen wie Monopolisierungserscheinungen, Krisenphänomene, Vorherrschaft des Rentabilitätsdenkens, Loslösung des Kapitals von der Arbeit, Dominanz des Bankensektors etc. einer Verschwörung von „Dunkelmännern“ zurechenbar.
Ohne sich mit einer Suche nach Beweisen für seine Behauptungen aufzuhalten, schritt Feder zur Erarbeitung eines entsprechenden Gegenmittels: Ein in Hinblick auf außenwirtschaftliche Gegebenheiten autarker Staat soll eine autonome Geldpolitik betreiben, soll damit „neues Geld“ schöpfen, das „zinslos“ zur Verfügung steht. Der Federsche Staatsentwurf entspricht einem Staat „ohne Steuern“, der die gesamten öffentlichen Ausgaben auf dem Wege der permanenten Geldschöpfung eigenfinanziert. Die Ausgabe des neuen „Feder-Geldes“, Staatskassengutscheine beziehungsweise Baugeldscheine, sah Gottfried Feder durch alle „neu entstehenden Werte“ (Verkehrswege, Kraftwerke, Panzerkreuzer) voll gedeckt und damit nicht als inflationstreibend an. Feder knüpfte an seine Art der Finanzpolitik hohe Erwartungen, die der Historiker Ernst Nolte so zusammenfasst: „Damit (mit der Geld- und Kreditschöpfung nach Feder) wird der Einzelne so gut wie der Staat aus den Banden seiner Zinsverpflichtungen befreit, die Nation wird wahrhaft souverän und die jüdische Weltherrschaft wird gebrochen, weil die Geldmacht des Weltjudentums zerschlagen wird. Dieser Weg bedeutet jedoch keineswegs etwa Verstaatlichung des Besitzes, sondern gerade die Sicherung möglichst vieler selbständiger Existenzen, einschließlich derjenigen großer Vermögen, die persönliches Eigentum sind (zum Beispiel Krupp). Das schaffende Industriekapital wird so vom raffenden Leihkapital befreit, der Volkskörper erholt sich von seiner schweren Krankheit, patriarchalisches Wohlwollen bestimmt das Verhältnis der Unternehmer zu den Arbeitern, der Staat garantiert jeder Familie ihr Eigenheim und ihren Hausgarten. [13]
In der revolutionären Phase nach dem Ersten Weltkrieg verabsäumte Gottfried Feder nicht, sich mit seinen Vorstellungen auch bei Vertretern der Linken - etwa beim Münchner Räterevolutionär Kurt Eisner - anzubiedern. [14] Erfolglos geblieben, richtete Feder ab dem Zeitpunkt des Friedensschlusses von Versailles seine Hasstiraden besonders gegen die im Friedensvertrag niedergelegten Hauptpunkte. Bei den Verhandlungen am 28. Juni 1919 war die Alleinschuld des Deutschen Reiches am Ausbruch des Ersten Weltkrieges festgestellt worden. Deutschland verlor damit einige Gebiete, sämtliche Kolonien, außerdem wurden Reparationszahlungen in beachtlicher Höhe eingefordert. Das Vertragswerk im gesamten wurde in Deutschland sehr unterschiedlich aufgenommen, so trat z.B. der Politiker Walther Rathenau für die Vollerfüllung der festgelegten Vereinbarungen ein, während die nationale Rechte eine Zielscheibe für demagogische Ausritte daraus zu machen versuchte. Für Feder war besonders mit der Einrichtung des „Wiedergutmachungsfonds“ der Beweis erbracht, dass Deutschland nun endgültig in die Fänge des „Weltwucherkapitals“ geraten sei.
Im September 1919 gründete Feder seinen „Bund zur Brechung der Zinsknechtschaft“, mit dem er wenig später geschlossen der NSDAP beitrat. Ungefähr in diesen Zeitraum fällt auch Gottfried Feders erste Begegnung mit Adolf Hitler. In seiner Hetzschrift „Mein Kampf“ notierte Hitler begeistert: „Als ich den ersten Vortrag Gottfried Feders über die ‚Brechung der Zinsknechtschaft’ anhörte, wusste ich sofort, dass es sich hier um eine theoretische Wahrheit handelte, die von immenser Bedeutung für die Zukunft des deutschen Volkes werden müsste. ... Zum ersten Mal in meinem Leben vernahm ich eine prinzipielle Auseinandersetzung mit dem internationalen Börsen- und Leihkapital.“ (Bei Feder: „Zinsherrschaft des jüdischen Weltwucherkapitals“) [15,16]
Hitler mutmaßte völlig richtig, als er in Feders programmatischen Erklärungen kein sozialrevolutionäres Programm, sondern eine nationalistisch fundierte Extremposition erblickte. Mit sicherem Instinkt spürte Hitler offenbar auch, wie sehr dieser pseudo-radikale Ansatz taugte, an die weit verbreitete antikapitalistische Stimmung in der Bevölkerung anzuknüpfen. Die Rechte in Deutschland hatte seit geraumer Zeit versucht, den „Sozialismus“-Begriff der Linken zu okkupieren, und mit Feders Konzept hatte sie das ideale Werkzeug in der Hand, nun auch „antikapitalistisch“ agieren zu können. Die frühe NSDAP ist als eine „Kraut-und-Rüben“-Partei zu bewerten, die alles wie ein trockener Schwamm in sich aufsaugte, was einigermaßen instrumentalisierbar erschien. Der „Antikapitalismus“ der Nationalsozialisten war im Grunde nichts anderes als ein übertünchter Rassismus. Völlig zu Recht merkte Erik Nölting einmal an, dass Gottfried Feder erst im November 1918 ein „Antikapitalist“ geworden sei. [17]
In der Gründungs- und Aufbauphase der NSDAP avancierte Feder mit seinen Thesen rasch zum führenden „Wirtschaftstheoretiker“ und Sprachrohr der Partei. Bereits das 25-Punkte-Programm von 1920 wurde wesentlich von den Vorstellungen Feders mitgestaltet. 1923 erschien die erste Auflage seines Buches „Der deutsche Staat auf nationaler und sozialer Grundlage.“ [18] Im Geleitwort schrieb Adolf Hitler: „Das Schrifttum unserer Bewegung hat damit seinen Katechismus bekommen.“ [19] Gottfried Feders Diagnostik und Programmatik stellten den Versuch dar, das „geistige Arsenal“ des Nationalsozialismus kräftig aufzupolstern. Mit ihren rabiaten Parolen fühlten sich Feder und seine Anhänger in die Lage versetzt, dem politischen Gegner, besonders den Marxisten, auch auf theoretischer Ebene begegnen zu können. Die Bezugnahme auf bestehende Ressentiments und die durch nichts zu überbietende Schlichtheit der „Theorie“ Feders machte es möglich, so manchen Propagandafeldzug erfolgreich durchzuführen. Dennoch wurden Feders Gedanken auch innerhalb der NSDAP nicht immer für voll genommen. Besonders die seltsame Differenzierung „schaffendes und raffendes Kapital“ (die „deutsche“ Kapitalisten entlasten sollte) wurde nicht selten auch von Nationalsozialisten belächelt. [20]
Dennoch, bis zum Ende der 1920er Jahre blieb Gottfried Feders Rolle als Wirtschaftssprecher der NSDAP weitgehend unbestritten. Im selben Ausmaß aber, in dem der Nationalsozialismus sich auf der Bühne der Politik zu etablieren vermochte, begann der agitatorische Stern Feders blasser zu werden: „Hitler veranstaltete im Laufe des Jahres 1930 eine Reihe ausführlicher Besprechungen über Wirtschaftsfragen, an denen im Braunen Haus in München verschiedene Referenten Spezialgebiete behandelten. Feste Teilnehmer waren anscheinend Gregor Strasser, damals Reichsorganisationsleiter der NSDAP, der Münchner Gauleiter Adolf Wagner und, nach eigener Aussage besonders aktiv, der spätere Leiter der Wirtschaftspolitischen Abteilung Dr. Otto Wagener, dessen nach dem Kriege im Gefangenenlager angefertigte umfangreiche Aufzeichnungen unsere Hauptinformationsquelle über diese Unterredungen sind. Bezeichnend ist, dass Gottfried Feder, der offiziell immer noch als der maßgebendste Wirtschaftsexperte der Partei galt und dem ‚Wirtschaftsrat der Reichsleitung der NSDAP’ vorstand, nicht hinzugezogen wurde.“ [21]
Den führenden Köpfen in der NSDAP war klar geworden, dass die knappen Formeln des Parteiprogramms besonders in Hinblick auf etwaige politische Bündnispartner durch Handfesteres im Bereich der angestrebten Wirtschaftspolitik ersetzt bzw. ergänzt werden mussten. Ebenso neigte man nun dazu, gewisse Formulierungen abzumildern. Der „Entwurf wirtschaftspolitischer Grundanschauungen und Ziele der NSDAP“ vom 5. März 1931 enthielt sich bereits jeder „antikapitalistischen“ Terminologie. Und im Buch des Nationalökonomen
Hans Reupke „Der Nationalsozialismus und die Wirtschaft“, in dem versucht wurde, die ökonomischen Programmpunkte der NSDAP "zeitgemäß zu interpretieren“, war 1931 zu lesen: „Was die Parole ,Brechung der Zinsknechtschaft' anbelangt, ist es nicht zu viel gesagt, wenn ich behaupte, dass man sich ernstlich mit ihr in der extremen Form, in der sie zuerst auftauchte, nicht mehr zu befassen braucht. [22]
Da die einzige wirkliche Befähigung Feders darin gelegen haben dürfte, auf Parteiversammlungen demagogische Reden zu schwingen, sahen Hitler und seine unmittelbaren Gefolgsleute ihre langfristigen Machtinteressen nur als gesichert an, wenn bei einer Regierungsübernahme die Zügel der Wirtschaftspolitik in kompetentere Hände gelangten. Feder muss gespürt haben, dass seine Zeit abgelaufen war. Sofort nach dem Machtantritt der NSDAP suchte er seine erträumten Positionen mit Brachialgewalt zu erkämpfen. So drang er z. B. in Begleitung von SA-Leuten in eine Generalversammlung des „Vereins Deutscher Ingenieure“ (VDI) ein und überbrachte den Antrag, man möge ihn – Gottfried Feder - zum Vorsitzenden dieser in Deutschland prominentesten Ingenieurs-Vereinigung machen. Die Gegenoffensive kam aber nicht aus dem VDI selbst, sondern aus den Reihen der NSDAP, an die sich der VDI Hilfe suchend gewandt hatte. [23] Alle Gleichschaltungsprozesse sollten möglichst „reibungsfrei“ über die Bühne gehen. Von nun an war Feders politischer Abstieg unaufhaltbar. Zwar wurden der „Reichsbund Deutscher Technik“ (RDT) und die der „Politischen Zentralkommission der NSDAP" zugeordnete „Kommission IIIB“, zuständig für Wirtschaftstechnik und Arbeitsbeschaffung, Feder unterstellt; aber bei allen wichtigen Personalentscheidungen wurde den Konkurrenten Feders der Vorzug gegeben. Kurzfristig wirkte Feder noch unter seinem Erzrivalen Hjalmar Schacht im Wirtschaftsministerium als Staatssekretär. Schacht konnte jedoch sehr bald durchsetzen, dass Feder auch diesen Platz räumen musste. [24] (Da nützten auch die von Feder in seinem Vorzimmer postierten SA-Wachen nichts.) Seiner unmittelbaren Beziehungen zu Hitler beraubt, wurde er bei allen weiteren Anfragen und Interventionsversuchen nur noch auf den Dienstweg verwiesen. Ein letztes Trostpflaster für Feder war die Schaffung eines Dienstpostens im Universitätsbereich, wo er einen Lehrstuhl zugewiesen erhielt. Ob Feder, der alles Wissenschaftliche immer heftig angegriffen hat, dort glücklich geworden ist, entzieht sich unserer Kenntnis.
Feders Grundidee, die Wirtschaft über eine entsprechende Geldpolitik zu steuern, fand aber über andere Wege Eingang in die reale NS-Wirtschaftspolitik. Die Durchführung der erforderlichen Maßnahmen wurde jedoch Männern zugedacht, deren praktische Fähigkeiten und Erfahrungen mehr Vertrauen in der Führungsriege der NSDAP erzeugten. Es handelte sich dabei um rein technische Maßnahmen, die primär der Finanzierung einer überdimensional expandierenden Rüstungsökonomie dienten. Von antikapitalistischen Motiven im Hintergrund konnte, so wie bei Feder, selbstverständlich auch hier keine Rede sein.
3.2 Kritik des „Feder-Geldes“
Gottfried Feder begründet sein „Analyseverfahren“ - ohne sich auf eine Auseinandersetzung mit Geld- und Zinstheorien nationalökonomischer Schulen, ohne sich überhaupt auf wissenschaftliche Kategorien einzulassen - ausschließlich verschwörungstheoretisch. Eine fiktive Gemeinde von „Dunkelmännern“, Juden und Freimaurern, habe sich das „Geld“ dienstbar gemacht. Und über den monetären Sektor, konkret über den Anleiheweg, seien ganze Völkerschaften in die „Zinsknechtschaft“ geraten. Feder hatte keine eigenständige Auffassung zu den Kapitalzinstheorien Eugen Böhm-Bawerks [25], er kannte ganz offenbar nicht einmal die Lehransätze zum Wesen des Zinses der zu seiner Zeit noch bedeutenden deutschen Historischen Schule. Den Gedanken ‚Angriff ist die beste Verteidigung’ vorangestellt, unterschob Feder dem wissenschaftlichen Sektor einfach Parteilichkeit und glaubte so, jeder Konfrontation entronnen zu sein. Feder war sich offensichtlich völlig im Klaren, dass sein schwächliches Denkgebäude nicht dem leisesten Windhauch aus den Reihen der Wissenschaft standhalten würde. Im Lichte der ökonomischen Theorie ist das „Wirtschaftsprogramm“ Feders also kaum näher beachtenswert. [26] Seine Äußerungen zur Quantitätstheorie des Geldes entbehren ebenfalls jeglicher theoretischer Einsicht. [27] Nicht nur, dass Feder der Illusion anhing, Geldmenge und verschiedene volkswirtschaftliche Daten geschmeidig aneinander anpassen zu können, er ignorierte nahezu gänzlich das Moment der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes, die für jede geldpolitische Aktivität mindestens ebenso beachtlich ist wie die Geldmenge an sich.
Er lebte von der Hoffnung, dass seine Methode der Geldschöpfung (das „Feder-Geld“ wurde ja „zinslos“ ausgegeben) den Zinsertrag zum Verschwinden bringen werde, untersuchte aber nicht näher, wie eine solche Politik das Sparverhalten der Bevölkerung zu verändern imstande ist. Wenn weder der Zins noch sonst eine Regelung dafür sorgt, dass das Geld im Umlauf bleibt, sind unkontrollierbare Effekte die unvermeidliche Folge. Wird Geld gehortet und der Staat produziert weiter Münzen und Geldscheine, erhöht sich ohne Zweifel die Gefahr einer sprunghaften Inflation. Es waren also durchaus keine „falschen Propheten“, die in der Währungsreform Feders sogar eine Hyperinflation vorprogrammiert sahen. So meinte Erik Nölting am 3. Jänner 1931 in einer Rundfunk-Diskussion mit Gottfried Feder: „Sehr interessant war das, was Sie von Ihrem Feder-Geld sagten. Ja, ich fürchte, es wird das Dritte Reich von Adolf Hitler ein toller Inflationsladen wieder werden, Herr Feder.“ [28]
Auch die Deckungsgegebenheiten für das Geld, wie sie Feder vorschlug, waren im Grunde unhaltbar. Alle „Güter“, jeder Straßenteil, jedes verlegte Stück Eisenbahnschiene, jedes Schlachtschiff, die mit Feder-Geld finanziert werden, sollten zugleich auch die Deckung des neu geschöpften Geldes bilden. Doch die für die staatliche Nachfrage produzierten Geldeinheiten sind nicht geeignet, ein Gleichgewicht zwischen den Gütermärkten der privaten Nachfrage und dem monetären Sektor zu sichern. Im Gegenteil: werden die Unkosten, etwa für den Flottenausbau, mittels Federscher Geldschöpfungspolitik aufgebracht, so gelangt das Geld zwar in private Hände (z. B. über die Entlohnung der Arbeitskraft), aber diesem Geld steht kein entsprechendes Gütermarktvolumen gegenüber. Auch der Kraftwerksbau, der bis zu seiner Fertigstellung vielleicht sieben Jahre benötigt, aber mit neu geschöpftem Geld vorfinanziert wird, ist als „Gegenwert“ zur Einhaltung von Deckungsverpflichtungen völlig ungeeignet. Mit seinen Finanzierungsvorschlägen erreichte Feder gerade das Gegenteil von dem, was er ursprünglich intendiert hatte: Das Geldvolumen entzieht sich gänzlich jeglicher Kontrolle, die ökonomische Unsicherheit nimmt zu, das psychologische Moment sorgt möglicherweise dafür, dass das Zinsniveau sogar drastisch erhöht wird.
Besonders kritikwürdig erscheint auch Feders totalitäre Staatsauffassung. Zwar beteuerte Feder, dass der Nationalsozialismus das private Eigentum unangetastet lassen würde, doch erhielt der Staat bei ihm die Oberaufsicht über alle wichtigen Bereiche des wirtschaftlichen und sozialen Lebens zugeteilt. Der Staat - der nicht selbst Wirtschaft treiben soll [29] - müsse aber den gesamten Bereich der Wirtschaft führen: „Der Staat sei Regler, Lenker, Treuhänder und Ausgleicher im Reiche der Wirtschaft. … Diese Erkenntnis steht am Anfang nationalsozialistischer Wirtschaftsgestaltung. Diese Wirtschaftsgestaltung wird sich im Wesentlichen auf die beiden großen Aufgaben zu erstrecken haben:
1. Die Organisierung und Ordnung der in der Wirtschaft tätigen Personen und Betriebe,
2. die Schaffung von Generalstabskarten für die Führung der deutschen Wirtschaft nach höheren Gesichtspunkten.“ [30,31]
Die Verantwortlichkeit des einzelnen „Wirtschaftsführers“ gegenüber der staatlichen Leitung, die Feder vorsah, weist ihn eindeutig als Verfechter einer "Kommandowirtschaft' aus: „Das höchste Glück des Mannes ist sein Staat“, schrieb Feder einmal. [32] Und für die von seinem Staat Beglückten sah er sogleich die Einführung einer Arbeitsdienstpflicht unter dem Titel Leistungshoheit vor: „Unter Leistungshoheit ist zu verstehen das souveräne Recht des Staates, seinen Bürger zu kostenlosen Leistungen heranzuziehen. Im gewaltigsten Ausmaß zeigt sich diese Hoheit des Staates über den Einzelnen in der Militärdienstpflicht und noch mehr im Kriegsdienst. Gegenüber den Anforderungen, die der Staat in Kriegszeiten von seinen Bürgern verlangen kann, müssen alle privaten Rücksichten zurückstehen. Familie, Beruf, Geschäft und Erwerb, alles hat zu schweigen, wenn der Staat seine Söhne zu den Fahnen einberuft. Aber nicht nur zum Kriegsdienst kann der Staat seine Bürger einberufen, auch zu großen wirtschaftlichen Unternehmungen kann dies der Staat tun. ... Die Arbeitsdienstpflicht soll die sichtbare Darstellung der hohen Idee der Dienstleistung gegenüber der Allgemeinheit sein. Sie soll erzieherisch wirken, sie soll jedem Deutschen in Musterbetrieben die Arbeit der gesamten Wirtschaft vor Augen führen, sie soll in strenger Pflichterfüllung jedem Deutschen den Segen der Arbeit im Dienste der Nation zeigen.“ [33,34] Für die Nationalsozialisten war die Arbeitsdienstpflicht die billigste Variante zur Entlastung des Arbeitsmarktes. Bei massiver Erhöhung des Lohndrucks erfolgte gleichzeitig die Enteignung des persönlichsten Eigentums, nämlich der Arbeitskraft der Bürger.
Ein weiterer Einwand gegen das Feder-Konzept, der aus den frühen 1930er Jahren stammt, entspricht dem Vorwurf, dass es sich hierbei um ein technokratisches Denkmuster handelt. Die Technokratiebewegung der Zwischenkriegszeit hatte ebenfalls angeregt, alle Bereiche des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens mittels des technischen Mediums des Geldes steuerbar zu machen, damit breites Wohlverhalten „herzustellen“ und so den sozialen Konsens zu sichern. Geld sollte nach den Vorschlägen der Technokraten durch sogenannte Energie-Zertifikate ersetzt werden, die neben den Geldeigenschaften auch die Kontrollfunktion über die Produktion zu gewährleisten gehabt hätten. Die von einer staatlichen Zentralstelle ausgegebenen Kaufzertifikate sollten für einen Zeitraum von jeweils zwei Jahren die gesamte Planung des gesellschaftlichen Produktionsvolumens möglich machen. Vorgesehen war ferner auch ein Registrierungssystem, mit dem der gesamte Transaktionsumfang festgestellt und so der Wirtschaftsverlauf optimiert werden sollte. Wie die Technokraten versuchte Feder alle Ungleichgewichte in Wirtschaft, Gesellschaft und im unmittelbar menschlichen Bereich auf eine Frage der „Geldtechnik“ zu reduzieren. Alle Problemlagen sollten mittels Rechenschieber und Logarithmentafel bereinigt werden. Überflüssig wären damit sehr bald auch Parlamentarismus, Parteipolitik oder gewerkschaftliche Organisationen, stimmte Feder mit den Technokraten überein. [35] In Deutschland erfuhr das technokratische Gedankengut seine maßgebliche Förderung durch den „Reichsbund Deutscher Technik“ (RDT) ab Beginn der 1930er Jahre. Nur kurze Zeit später war der „Sozialtechniker“ Gottfried Feder der Leiter dieser Vereinigung.
4 Gottfried Feder und die anderen „Brecher der Zinsknechtschaft“
4.1 Die Vorläufer Feders
Kaum ein Thema ist in der letzten Zeit in der deutschen Geschichtsforschung mit solcher Vehemenz debattiert worden wie die Frage: War die NS-Bewegung eine reaktionär-konservative oder eine modernisierende Strömung? [36] Eine solche Fragestellung kann kaum ohne den Blick auf gewisse Traditionen Deutschlands diskutiert werden. Der Soziologe Ralf Dahrendorf geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass eine tendenziell schwach gebliebene ökonomische Elite im Deutschland des 19. Jahrhunderts auf starke, politisch konservativ orientierte Bündnispartner angewiesen geblieben war, um Neuerungen zur Durchsetzung zu verhelfen. [37] Technische, ökonomische oder auch organisatorische Modernisierungsschritte wurden daher zumeist - kontrolliert von einer konservativen Herrschaftsschicht - ‚von oben’ vorgegeben.
Diese Tradition setzte sich im Deutschland des 20. Jahrhunderts nahtlos fort, als die ökonomischen Eliten in der krisenhaften Situation den 1920er und 1930er Jahre erneut auf massive politische Unterstützung angewiesen waren, um als Klasse überleben zu können. Das NS-Regime beseitigte die stärkste Bedrohung der Herren Krupp, Thyssen usw., räumte in totalitärer Manier die Institutionen der Arbeiterschaft aus dem Weg und versuchte u. a. über technoökonomische Modernisierungsansätze [38] einen neuen sozialen Konsens zu schaffen. Alle Maßnahmen zielten darauf hin, die alten hierarchischen Strukturen in der Gesellschaft unangetastet zu lassen. Das NS-Regime kann damit klar in eine antiliberal rückschrittlich-konservative Entwicklungslinie eingeordnet werden; es war das Regime einer „konservativen Modernisierung“. [39]
Direkt oder indirekt wirksame Vorbilder für die geldtechnologischen Vorstellungen der Nationalsozialisten lassen ebenfalls unschwer einen reaktionär-verharrenden Kontext orten. Erwähnenswert scheint etwa der Wegbereiter des deutschen Konservativismus Justus Möser (1720-1794), der die alte ständische Sozialordnung und den Status der feudalen Grundherren- und Kriegsherreneliten besonders durch die moderne „Geld-Wirtschaft“ in Frage gestellt sah. In seinen „Patriotischen Phantasien“ (1774) schrieb er: „Geld! Entsetzliche Erfindung! Du bist das wahre Übel in der Welt. Ohne deine Zauberei wäre kein Räuber oder Held vermögend. ... Ehe du - Geld - kamst, war der Landbesitzer allein ein Mitglied der Nation. ... Ehe du - Geld - kamst, entschieden Klugheit und Stärke, diese wahren Vorzüge der Tiere und Menschen, das Schicksal der Völker.“ [40]
Die geldfeindliche Haltung Mösers fand ihre Entsprechung in ‚geldreformerischen’ Ideen, wie sie nur eine Generation später, beim Österreicher Adam Müller (1779-1829), zu Tage traten. Der Begründer der Romantischen Schule der Nationalökonomie Müller versöhnte das sozialkonservative Lager wieder mit der Geldwirtschaft: „Müllers Programm kongruiert zwar nicht unmittelbar mit Johann G. Fichtes ‚Geschlossenem Handelsstaat’; es trägt aber insofern starke autarkistische Züge, als es bereits die Scheidung zwischen metallbasiertem „Weltgeld“ und papierenem „Landesgeld“ vorsieht. Der Schöpfungsakt beim Landesgeld - so Müller - soll unabhängig von einer Metalldeckung erfolgen. Das Landesgeld, dessen Wertbeständigkeit Ausdruck der „Nationalkraft“ des Volkes sein soll (das also allein vom Vertrauen des Volkes in die Währung „lebt“), eröffne die Chance, die gefährlichen Klippen des Weltmarktes zu umschiffen, indem über die Schaffung eines entsprechenden „Nationalkredits“ monetäre Anpassungsleistungen an die Erfordernisse der nationalen Wirtschaft möglich gemacht würden. [41] Adam Müller bemühte sich ebenfalls um die Erhaltung eines ständischen Wirtschaftsgefüges, indem er dem Modell der liberalen englischen Ökonomen sein System einer Staatswirtschaft gegenüberstellte. Müller versuchte besonders, verschiedene Entlehnungen aus der mediävalen Epoche mit dem Gedanken des „Nationalstaates“ zu verknüpfen. [42]
Die krisenhafte Wirtschaftsentwicklung im ausgehenden 19. Jahrhundert verhalf emissionsreformerischen Ansätzen à la Müller zu einer größeren Breitenwirkung. In Wien agitierten protektionistisch ausgerichtete Gruppen, u. a. auch der Hochschulprofessor Josef Schlesinger (1830-1901) und der Eisenbahningenieur Wenzel Schober (1846-1928) [43], gegen „fremdländische Einflüsse“ und gegen die goldgedeckte Währung (als „Weltgeld“). Gleichzeitig forcierten sie den Antisemitismus, indem sie die „Geldherrschaft“ zur „Judenherrschaft“ umdeuteten. Die „jüdische haute finance und ihre (Zins-)Wucherbanken“ [44,45] hätten - so Schober und Schlesinger - Österreich in die Abhängigkeit des Auslandskapitals gebracht; daher seien ein chronisches Staatshaushaltsdefizit, „Wirtschaftsstockung“ und Preisverfall gegeben. Der schlichten Diagnose folgten nicht weniger schlichte Therapievorschläge:
- Die Wirtschaft des Landes soll nach außen mittels eines rigiden Schutzzollsystems abgeschottet werden.
- Zeigen sich Anzeichen verminderter Wirtschaftstätigkeit, müsse mittels einer autonom betriebenen Geldpolitik konjunkturanregend interveniert werden.
Eine ernsthaft gemeinte Rezeption dürfte das Programm Schober/Schlesinger vorwiegend im Untergrund bei militanten Sekten erfahren haben, die u. a. den völkischen Antisemitismus mit fast religiöser Inbrunst pflegten. Wichtig erscheint hier die Achse Wien-München, innerhalb der ein reger Austausch obskurer Ideen und Gedanken stattfand. In beiden Städten existierte eine rührige Szene, die später dem Nationalsozialismus einiges an Substanz spenden sollte. [46] Gottfried Feder zitierte Wenzel Schoberals einen unmittelbaren Vorläufer und als eine Person, die schon vor ihm darauf hingewiesen habe, „dass nur die völlige Abkehr von den grundfalschen nationalökonomischen Lehren die unheilvolle Entwicklung der Nationalwirtschaft aufzuhalten vermöchte.“ [47]
4.2 Unterschiede zwischen Gottfried Feder und Silvio Gesell
Gelegentlich wird unter Gottfried Feders Vorläufer auch eine recht schillernde Person eingereiht: der Freiwirtschaftstheoretiker Silvio Gesell. [48] Da es sich hierbei insgesamt um eine sehr vernebelte Angelegenheit handelt, sollte der angeblichen geistigen Nachbarschaft Feders und Gesells entsprechendes Augenmerk geschenkt werden. Zumeist war es der sowohl von Feder als auch von Gesell verwendete Terminus der „Zinsknechtschaft“, der dazu veranlasste, eine inhaltliche Nähe zu suggerieren. Wie in vielen Fällen dürfte es aber auch hier angebracht sein, das scheinbar Beisammenliegende einer differenzierenden Betrachtung zu unterziehen. Die Begriffsapparatur Feders ist, wie der Historiker Gerhard Schulz glaubhaft versichert, nur eine Entlehnung verschiedener Vulgärformeln, wie sie in Deutschland im 20. Jahrhundert en vogue waren. [49] Weder ist Silvio Gesell die Prägung des Begriffs „Zinsknechtschaft“ direkt zurechenbar, wie dies manchmal behauptet wird [50] - er hat diesen Begriff auch nur selten verwendet - , noch ist Gottfried Feder der Schöpfer dieses Schlagwortes. [51] Bei dem Terminus „Brechung der Zinsknechtschaft“ handelt es sich um ein sehr verbreitetes Vokabular, das von verschiedenen politischen Gruppen mit unterschiedlichen Inhalten aufgeladen wurde. [52]
Dem Zinssystem zu Leibe rücken wollten um 1900 viele Parteien und Gruppierungen. Auch die Sozialdemokratie forderte vielfach die „Befreiung der Menschheit aus der Zinsknechtschaft des Kapitalismus“. [53] Zugrunde lag hierbei besonders die Analyse des „Finanzkapitals“ von Rudolf Hilferding (1910): „Der Kapitalist als Aktienbesitzer ist nicht mehr industrieller Unternehmer, sondern Geldkapitalist. Er fordert daher nicht den Durchschnittsprofit (Unternehmergewinn + Zins), sondern nur Zins.“ [54] ... „Diese ganze Entwicklung nennen wir die Mobilisierung des Kapitals. Der Industrie und dem Handel werden durch Vermittlung der Banken und der Börse Geldsummen zur Verfügung gestellt, die in den Händen ihrer Eigentümer nicht als produktives Kapital fungieren könnten. Es sind dies einerseits die Geldsummen, die zeitweise aus dem Kreislauf des industriellen Kapitals heraustreten - die Größe dieser Summen wächst mit der Entwicklung des fixen Kapitals - andererseits die Kapitalsplitter, die den nichtproduktiven Klassen gehören, und die Ersparnisse der Kleinkapitalisten, Bauern, Arbeiter usw. - die Größe dieser Summen wächst mit der Konzentration aller Splitter des Geldkapitals in den Banken. Diese Summen wechseln beständig in ihrer Zusammensetzung und in ihrem Umfang. Immer aber bleiben in der Verwendung der industriellen und kommerziellen Kapitalisten Geldsummen, die in der Verfügung der Banken stehen. Industrie und Handel werden mit einem Kapital betrieben, das größer ist als das Gesamtkapital, das industriellen und kommerziellen Kapitalisten gehört. Bankhapital, Kapital in Geldform, das auf diese Weise in industrielles und kommerzielles Kapital verwandelt wird, nennt Hilferding Finanzkapital.“ [55]
Noch Mitte der 1930er Jahre war auf einem Plakat der österreichischen Sozialdemokratie, auf dem das Sündenregister des Nationalsozialismus aufgeschlüsselt war, zu lesen, dass das NS-Regime nichts zur „Brechung der Zinsknechtschaft“ unternommen hätte. [56] In der Zwischenkriegszeit war das Ziel der „Beseitigung der Zinsknechtschaft“ auch im marxistisch-leninistischen Lager Bestandteil des agitatorischen Wirkens. Kurz nach der Röhm-Affäre wandte sich der spätere Staats- und Parteichef der DDR Walter Ulbricht in einem Aufruf an die Reste der paramilitärischen Sturmabteilung. In einem Artikel der Saarbrücker Arbeiterzeitung vom 12. Juni 1934 hieß es: „Kameraden in der SA! ... Weil ihr gefordert habt, dass die Arbeitslöhne erhöht und die Zinsknechtschaft beseitigt werden soll, ... deshalb führt die faschistische Reaktion den Schlag gegen die SA.“ [57]
Alles in allem tragen terminologische Kongruenzen dazu bei, für den Geschichtsforscher ein verwirrendes Bild entstehen zu lassen. Umso mehr scheint es angebracht, im Hinblick auf Feder und Gesell die Feinheiten herauszuarbeiten. Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg konnte Feder noch lobende Worte für die Gesell-Anhänger finden, besonders für deren „ausgezeichnete Aufklärungsarbeit über den Zins“. [58] In dieser Zeit gab es auch ein - zufälliges - Zusammentreffen zwischen Feder und Gesell [59], wobei die Divergenzen zwischen dem kosmopolitisch-liberal orientierten Gesell und dem reaktionär-konservativen Feder offenbar rasch zutage getreten sind. Denn wenig später schrieb Feder: „Silvio Gesell zählt zu den höchst problematischen Existenzen“ [60], die in der „Münchner Bolschewikenzeit“ [61] mit den „jüdischen Bluthunden gemeinsame Sache gemacht“ hätten. [62] Feder weiter: „Seine (Gesells) Lehre hat geradezu Verheerungen angerichtet in vielen deutschen Köpfen.“ [63] Stellt man die Konzepte bzw. Programmentwürfe Feders und Gesells nebeneinander, so wird bald deutlich, dass Gesell von Feder nicht nur aus Konkurrenzgründen erbittert bekämpft werden musste.
4.2.1 Gesell und Feder zum Geldwesen
Gesell geht in Hinsicht auf das Geldwesen von rein sachlichen Gegenüberstellungen aus. Dabei gelangt er zu dem Ergebnis, dass das Geldkapital in der Wirtschaft im Vergleich zu Arbeitskraft und Ware eine Vorzugs- bzw. Monopolposition innehat, die es möglich macht, einen Monopoltribut, d. h. einen Zins einzufordern. Zinsforderungen aber führen nach Gesell zu Verteilungsungerechtigkeiten und, weil damit die Spekulation gefördert wird, zu krisenhaften Erscheinungen in der Wirtschaft.
Feder meint, dass Gesell das ganze Finanzproblem am falschen Ende angeht, „wenn er dem Problem von der Geldseite her beizukommen sucht. Im Gegensatz zu Gesell ist Feders „Antikapitalismus“ nichts als ein getarnter Rassismus: Weil eine kleine Clique, das sog. „Geldjudentum“ über Anleihenvergabe und „Wiedergutmachungsfond“ Zugriff auf das ökonomische Geschehen in Deutschland gewonnen hätte, seien Zinsherrschaft und wirtschaftliche Härten gegeben. Feder selbst sieht den Antisemitismus als „gefühlsmäßigen Unterbau“ seiner Lehre an. [64]
4.2.2 Die unterschiedlichen Thesen zur Währungsreform
Gesells Grundorientierung bezieht sich auf die neu formulierte Quantitätstheorie, nach der Geldmenge und Geldumlaufgeschwindigkeit, abhängig vom Gütertransaktionsvolumen, das Preisniveau bestimmen. Für ihn ist die Umlaufgeschwindigkeit die entscheidende Variable, die am geeignetsten regelbar erscheint. Die Beeinflussung der Umlaufgeschwindigkeit nehme dem Gelde den Monopolcharakter. Und innerhalb neuer Rahmenbedingungen (Entmonopolisierung von Geld sowie von Grund und Boden) könne sich die Wirtschaft frei nach dem Laissez-faire-Prinzip entfalten.
Feder plädiert für eine nationale Autarkie und in deren Rahmen für eine autonome Geldschöpfungspolitik. Ein Staat „ohne Steuern“, der den Kredit- und Anleiheweg meidet, soll Papiergeld im Umfang „nationaler Erfordernisse“ drucken. Der totale Staat übernimmt damit die absolute Kontrolle über die Wirtschaft, da seine Konsumentscheidungen primär maßgebend sind.
4.2.3 Gesell und Feder zum Wesen des Kredits
Für Gesell ist der Kredit ein unerlässliches und notwendiges Mittel im Wirtschaftsleben. Als Geschäftsmann wusste er, dass ohne Kredit keine Wirtschaftsentwicklung möglich ist. Viele Unternehmer, die über eine innovative Idee verfügen, denen aber das Geld zur Verwirklichung dieser Idee fehlt, sind auf Kreditgeld angewiesen.
Mediäval anmutende Vorstellungen eines Kreditverbots finden sich hingegen bei Gottfried Feder. Kredit nehmen heißt bei ihm nur „Schulden machen. ... Wirklich solider Besitz hat sich stets fern gehalten vom Schulden machen - denn Kredite sind nichts anderes als Schulden. … Wir wollen gar nicht mehr, dass jemand sein Geld verleiht. Kredit war die List, war die Falle, in die unsere Wirtschaft gegangen ist.“ [65,66]
4.2.4 Gesell und Feder zu den Grundsätzen der Wirtschaftsordnung
Der freiwirtschaftliche Programmentwurf entspricht weitgehend einem ordoliberalen Muster, d. h. die Kombination von freier Marktwirtschaft und ordnungspolitischen Maßnahmen (zur Entschärfung monopolistischer Praktiken) wäre nach Gesell zu bevorzugen. Seine Zielsetzungen beziehen sich auf die Herstellung von mehr Verteilungsgerechtigkeit und auf Krisenvermeidung.
Feder ist demgegenüber der typische Vertreter einer Kommandowirtschaft. Damit steht er für einen durchgreifenden Dirigismus, für Interventionismus und für straffe Regulierungsmaßnahmen sowie für eine Förderung risikobehafteter großtechnischer Systeme und Projekte. Der direkte Zugriff des Staates auf seine Bürger ist dabei u.a. durch die „Leistungshoheit“ bzw. durch die Arbeitsdienstpflicht gegeben.
4.2.5 Gesell und Feder zu Thema Außenhandel
Gesell ist ein Vertreter des klassischen uneingeschränkten Freihandelsprinzips. Schutzzölle, Autarkiebestrebungen und Protektionismus sind nach Gesell mit freiem wirtschaftlichem Handeln unvereinbar. Einen regen Handelsverkehr zwischen den Ländern sieht er als wohlstandsfördernd und friedenssichernd an.
Feder hingegen tritt für „die Aufrichtung eines geschlossenen Handelsstaates“ ein. [67] Er sieht die wirtschaftlichen Interessen der Nation am besten gesichert, wenn alle Außeneinflüsse ausgeschaltet werden, und ein starker Staat die inneren Wirtschaftsbeziehungen lenkt.
4.2.6 Gesell und Feder zur Bodenreform
Das Freiland-Konzept Gesells zur Bodenreform ist vergleichbar dem Modell eines Pächtersozialismus. Da das Privateigentum an Grund und Boden eine „Bodensperre“ [68] bewirkt, das heißt den Zugang zu einem zentralen Produktionsfaktor monopolistisch einschränkt (der Monopolgewinn entspricht hier der Grundrente), strebt Gesell die Sozialisierung von Grund und Boden an. Die öffentliche Hand, so sein Vorschlag, soll den Boden entschädigungspflichtig enteignen und zur Verpachtung ausschreiben. Bodenwertsteigerungen und die Grundrente könnten somit der Gesellschaft als Ganzes zugute kommen.
Im Gegensatz zu Gesell tritt Feder, bei grundsätzlicher Anerkennung des Privateigentums am Boden, nur für eine eingeschränkte „Justizreform“ auf dem Sektor des Bodenrechtes ein. Nach dieser „Reform“ ist die unentgeltliche Enteignung bei unrechtmäßigem Erwerb und im Falle „lüderlicher“ Bewirtschaftung vorgesehen. [69] Hitler hatte präzisierend zum Bodenprogramm Feders angemerkt: „Dies richtet sich demgemäß in erster Linie gegen die jüdischen Grundspekulationsgesellschaften.“ [70] Den Blut-und-Boden-Parolen Feders und der NSDAP entsprach der Gedanke, Großstädte zu verkleinern und vor allem die Jugend auf dem Lande anzusiedeln. Unterstützt werden sollte damit die Gebietsexpansion in Richtung Osten; ein starkes Wehrbauerntum hätte dabei die langfristige Unterwerfung und Kolonisation anderer Länder zu garantieren gehabt. [71]
Gesells Bodenreformkonzept ist Feder ein besonderer Dorn im Auge, da als Pächter des sozialisierten Bodens praktisch jeder Erdenbürger in Frage kommt. Feder: „Die Nationalsozialistische Partei lehnt auch mit aller Entschiedenheit die internationale Richtung der Freilandbewegung im Sinne Silvio Gesells ab, da sie den Tod unseres Volkstums bedeuten würde.“ [72] Nicht das Gefühl der „völkischen Zusammengehörigkeit“, nicht „Heimatliebe“, „Fleiß und Pflichttreue“ würden durch Gesells Vorschläge gefördert, denn „jeder ostgalizische Zuchthäusler, … jeder Kaffer und Eskimo, jeder Schieber und Wucherer kann die schönsten deutschen Landschaften pachten.“ [73] Mit dem Programm der NSDAP war der Freilandgedanke Gesells wahrlich nicht kompatibel - denn erforderlich sei vielmehr, meinte Feder, die Unterbindung der Zuwanderung von Ostjuden und von anderen schmarotzenden Ausländern.“ [74] „Lästige Ausländer und Juden“ sollten jederzeit abgeschoben werden können. „Jede weitere Einwanderung Nicht-Deutscher ist zu verhindern. Wir fordern, dass die Nicht-Deutschen, die seit dem 2. August 1914 in Deutschland eingewandert sind, sofort zum Verlassen des Reiches gezwungen werden.“ [75]
5 Resümé
Betrachtet man Feder und Gesell als Proponenten des Überganges zu Formen einer „gemanagten Währung“, so wird deutlich, welch unterschiedliche Vorstellungen auch in Hinblick auf die Geldpolitik vor 1933 in Deutschland existiert haben müssen. Ähnlich wie Friedrich A. Hayek, der die Gegner der Goldwährung in ein nationales Lager und in ein soziales Lager untergliederte, so sollte man auch in dem Spektrum, in dem „geldreformerisches“ Gedankengut vertreten wurde, wahrnehmen, dass oft von völlig unterschiedlichen Grundanliegen ausgegangen worden ist. Silvio Gesell erscheint somit weitgehend unverdächtig. [76] Dieser Schluss lässt sich jedoch nicht auf die gesamte Anhängerschaft Gesells übertragen. Zu stark mischte sich in diese bunte Schar, in der bürgerlich-gemäßigte, individual-anarchistische und links-sozialistische Gemüter zusammenfanden, auch völkisches Beiwerk. So sehr Systematisierungsversuche manchmal problematisch erscheinen, in diesem Falle bietet es sich an, die Anhänger Gesells in Bezug auf ihre Resistenz gegen rechtes Gedankengut in Gruppen zu fassen.
Völkische Gesell-Anhänger
Bereits in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg waren Personen aus dem völkischen Lager auf Gesells Lehre aufmerksam geworden. In verstümmelter Form fanden Gesells Ansätze zu Beginn der Zwischenkriegszeit Eingang in deutschnationale Freiwirtschaftsorganisationen. [77] Völkische Gesellianer wirkten später sowohl innerhalb als auch außerhalb der NSDAP.
„Konvertierungsgläubige“ Gesell-Anhänger
Eine andere Gruppe von Gesellianern agitierte u. a. in den Lagern der Völkischen und der Nationalsozialisten, im frommen Glauben, hier bekehrend wirken zu können. Terminologische Annäherungen, die eine gemeinsame Gesprächsbasis herstellen sollten, verleiten heute dazu, manchmal falsche Schlüsse zu ziehen. [78] Aber so wie bei den Nazis suchte man damals Ansprechpartner auch in allen anderen Parteien und in Gewerkschaften sowie in Handels-, Gewerbe- und Landwirtschaftskammern. [79]
Gesell-Anhänger als Gegner des Nationalsozialismus
Festzustellen ist, dass der Nationalsozialismus innerhalb der Gesellianer/innen auch eine klare Ablehnungsfront vorfand. Benedikt Uhlemayr [80] schrieb schon in der Inflationsperiode der frühen 1920er Jahre gegen den Nationalsozialismus an, Paul Nagel bedauerte 1928, dass sich auch Antisemiten des Gesellschen Programms bemächtigt hätten [81], der linke Freiwirt Erich Mäder bekämpfte die Nazis in der Phase der Weltwirtschaftskrise mit publizistischen Mitteln [82], Bertha Heimberg musste sich nach 1933 in das Exil retten und Hanna Blumenthal hatte 1935 in einem Brief zu vermerken, dass die Gesell-Anhänger seit dem Verbot 1934 in Deutschland vollkommen isoliert seien. [83]
In welchem Ausmaß der Nationalsozialismus in den 1920er und 1930er Jahren imstande war, das freiwirtschaftliche Lager einzuschüchtern oder sogar zu sich herüberzuziehen, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden. Tatsache ist, dass nicht wenige Freiwirtschaftler gegen Ende der Weimarer Epoche eine gewisse Neigung nach rechts zeigten. [84] Hier spiegelt sich die Erkenntnis wider, dass, wenn die gesamte Gesellschaft einen Schwenk vornimmt, auch Kleingruppen in dieser Gesellschaft zumindest partiell eine solche Wende mitmachen. Voll gepunktet hat der Nationalsozialismus in der freiwirtschaftlichen Bewegung mit Sicherheit nicht, denn 1934 wurden ihre Organisationen und Blätter verboten. Der prominente Historiker Willi Boelcke merkt dazu an: „Auf (Gesells) ... damals nicht wenige Anhänger wurde die Gestapo angesetzt.“ [85] Die Unterdrückungswut der Nazis gegenüber den Gesellianern lässt sich nicht schwer ergründen. Eine große Zahl von ihnen wollte ihr System mit lokalen Experimenten aus dem gesellschaftlichen Zusammenhang heraus entstehen lassen, wie sie auch mit ihren Freigeldversuchen zeigten, während das NS-Regime eine „staatsfabrizierte“ Nachfrage forcierte. Jedes regional wirksame Währungsexperiment hätte dabei das nationalsozialistische Kommandowirtschaftsystem empfindlich gestört.
So bleibt als Abschluss für diesen letzten Teil nur noch folgendes Resümé: Freiwirtschaftler und Nationalsozialisten haben sich dem Phänomen „Zins“ von verschiedenen Seiten her angenähert, die Freiwirtschaftler mit sozialen Anliegen, die Nationalsozialisten völkisch und antisemitisch argumentierend. Dennoch konnte die gegen Ende der 1920er Jahre dominierender werdende NS-Bewegung einen Teil der Gesell-Anhänger mit der Parole „Brechung der Zinsknechtschaft“ vereinnahmen. Der schwere Irrtum vieler Freiwirtschaftler bestand darin, dass sie nicht erkennen konnten, dass der „Antikapitalismus“ der NSDAP nichts als ein getarnter Rassismus war, mit dem Gottfried Feder und seine Anhänger an der gegebenen antikapitalistischen Stimmung der Massen anzuknüpfen versuchten. Etwas gegen das kapitalistische Wirtschaftsystem zu unternehmen, war zu keiner Zeit ein wirkliches Anliegen des Nationalsozialismus.
Die Taktik der extremen Rechten, aktuelle Problemfragen, Stimmungen usw. einzufangen, „dialektisch“ weiterzuverarbeiten und schließlich mit eigenem rassistischen und nationalistischen Gedankenwerk zu vermengen, ist bis dato unverändert geblieben. Zurzeit gibt es keine ausgeprägte gesellschaftliche Strömung, die den Kapitalismus in Frage stellen würde. Antikapitalismus, in welcher Form auch immer, ist daher heute in der gesamten politischen Diskussion kaum ein Thema. [86] Gegenwärtig sind es viel mehr die ökologische Krise und damit verbundene Umdenkprozesse in breiten Bevölkerungsschichten, an die seit geraumer Zeit die extreme Rechte anzukoppeln versucht. Dabei werden kritische Argumente von an sich völlig unverdächtigen Personen wie Hans Christoph Binswanger, Ivan Illich oder E. F. Schumacher aufgegriffen und zu instrumentalisieren versucht, indem das nationale „Lösungsmodell“ einfach darüber gestülpt wird. [87]
Anmerkungen
[1] Helmut Woll, Die Wirtschaftslehre des deutschen Faschismus, München 1994 ; zur Wirtschaftstheorie im Nationalsozialismus existiert - angesichts der Fülle an allgemeiner und spezieller Literatur zum Thema Drittes Reich wirkt das besonders erstaunlich - nur wenig verarbeitetes Material: Werner Krause, Wirtschaftstheorie unter dem Hakenkreuz: die bürgerliche Ökonomie in Deutschland unter der faschistischen Herrschaft, Berlin 1967. Christina Kruse, Die Volkswirtschaftslehre im Nationalsozialismus, Freiburg 1988.
[2] Hingewiesen werden soll an dieser Stelle auf einen kürzlich erschienenen Artikel von Otmar Issing, in dem Feder und Gesell undifferenziert als „Gegner der Zinsknechtschaft“ behandelt werden: Otmar Issing, Der Zins und sein moralischer Schatten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 270 vom 20. November 1993. Beachte auch die Dokumentation von André Siegenthaler (Hg.), Wie Silvio Gesell zum Faschisten gemacht wurde, Rietberg/CH 1994.
[3] Während in den USA die Rüstungsaufwendungen zwischen 1933 und 1940 pro Jahr mit einem Prozent des Volkseinkommens etwa konstant blieben, wuchsen in Deutschland die Militärausgaben 1933 bis 1938 von 1,6 auf 18,8 Prozent des Bruttosozialprodukts. Rudolf Lindner/Bertram Wohak/ Holger Zeltwanger: Planen, Entscheiden, Herrschen, Reinbek bei Hamburg 1988, S. 106. Günter Könke, „Modernisierungsschub“ oder relative Stagnation? Einige Anmerkungen zum Verhältnis von Nationalsozialismus und Moderne, in: Geschichte und Gesellschaft, 20. Jahrgang, Heft 4/1994, S. 607.
[4] Quellen: Statistisches Reichsamt (Hg.), Statistisches Handbuch der Weltwirtschaft, Berlin 1936, S. 31. - Kleine Wirtschaftsumschau, in: Zeitschrift für Geopolitik, XX. Jahrgang, Heft 9, Nov./Dez. 1943 (Beilage). - Karl Ausch, Licht und Irrlicht des österreichischen Wirtschaftswunders, Wien 1965, S. 51.
[5] Hannah Arendt hat schon frühzeitig darauf aufmerksam gemacht, dass „Gottfried Feders Programm von 25 Punkten ... eine weit größere Rolle in der Literatur über den Nationalsozialismus gespielt (hat) als in der Bewegung selbst“. Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Frankfurt/M. 1958, S. 487.
[6] So lautete einer der zentralen Programmpunkte der NSDAP: „III. Finanzpolitischer Grundsatz: Das Geldwesen steht im Dienste des Staates, die Geldgewaltigen dürfen keinen Staat im Staat bilden; daher unser Ziel: Brechung der Zinsknechtschaft durch
- Befreiung des Staates und damit des Volkes aus seiner zinspflichtigen Verschuldung gegenüber dem Großkapital;
- Verstaatlichung der Reichsbank A.G. und der Notenbanken. Geldbeschaffung für alle großen öffentlichen Ausgaben (Ausbau der Wasserkräfte, Verkehrswege usw.) unter Vermeidung des Anleiheweges durch die Ausgabe zinsloser Staatskassengutscheine bzw. auf bargeldlosem Wege;
- Einführung einer feststehenden Währung auf gedeckter Grundlage;
- Schaffung einer gemeinnützigen Bau- und Wirtschaftsbank (Währungsreform) zur Gewährung zinsloser Darlehen;
- durchgreifende Umgestaltung des Steuerwesens nach sozialen volkswirtschaftlichen Grundsätzen. Befreiung der Verbraucher von der Last der indirekten Steuern sowie der Erzeuger von einengenden Steuern (Steuerreform und Steuerbefreiung).“ Gottfried Feder, Programm der NSDAP und seine weltanschaulichen Grundgedanken, München 1938 (Neuauflage des 1927 veröffentlichten Programms), S. 32.
[7] Arthur Herrmann, Gottfried Feder - der Mann und sein Werk, Berlin o. J., Erschienen wahrscheinlich 1933. In einer Ankündigung aus dem Jahr 1933 heißt es: „Das einzige bisher erschienene Werk über Gottfried Feder, den Schöpfer des Programms der NSDAP und jetzigen Präsidenten des Reichsbundes Deutscher Technik“. In: Gottfried Feder, Wirtschaftstechnik und Arbeitsbeschaffung, in: Schriften des Reichsbundes Deutscher Technik. Technisch-wirtschaftliche Reihe, Heft 6/1933, S.16.
[8] Gottfried Feder, Das Radikalmittel, in: Süddeutsche Monatshefte, München, Februar 1919, wiederabgedruckt in: Gottfried Feder, Kampf gegen die Hochfinanz, München 1935, S. 15ff. Feder publizierte weiteres in Zeitungen und Zeitschriften wie „Auf gut Deutsch. Wochenschrift für Ordnung und Recht“, „Volk und Gemeinde. Monatsblätter für nationalen Sozialismus und Gemeindepolitik“, im „Deutschen Sozialist“, im „Völkischen Beobachter“ u.a.m.
[9] Gottfried Feder, Der Staatsbankrott - Die Rettung, München 1919.
[10] Gottfried Feder, Das Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft des Geldes, München 1919.
[11] Einen guten Einblick in das Federsche Denken vermittelt auch: Gottfried Feder/A. Buckeley, Der kommende Steuerstreik. Seine Gefahr, seine Unvermeidlichkeit, seine Wirkung, München 1921.
[12] Feder 1935, S. 39.
[13] Ernst Nolte, Der Faschismus in seiner Epoche. Die Action francaise. Der italienische Faschismus. Der Nationalsozialismus, München 1963, S. 399.
[14] Feder trat in der revolutionären Phase nach dem Ersten Weltkrieg für ein (modifiziertes) Rätemodell ein, das allerdings - so zeigt es sich bei näherem Hinsehen - die ursprünglichen Intentionen der Linken unterlaufen sollte. Gottfried Feder, Der soziale Staat, in: Auf gut Deutsch. Wochenschrift für Ordnung und Recht, 1. Jahrgang, Heft 14/15 vom 24. Mai 1919, wiederabgedruckt in: Feder 1935, S. 40ff.
[15] Adolf Hitler, Mein Kampf, München 1939; S. 232.
[16] Hitler 1939, S. 229.
[17] Sozialdemokratie und Nationalsozialismus. Gespräch auf der "Deutschen Welle" am 3. Jänner 1931 zwischen Prof. Erik Nölting von der Akademie der Arbeit in Frankfurt am Main und Dipl. Ing. Gottfried Feder, abgedruckt in: Feder 1935, S.285.
[18] Gottfried Feder, Der deutsche Staat auf nationaler und sozialer Grundlage, München 1923.
[19] Adolf Hitler im Geleitwort zu Feder 1923, S. 5.
[20] Gerhard Schulz, Aufstieg des Nationalsozialismus. Krise und Revolution in Deutschland, Frankfurt/M., Berlin, Wien 1975, S. 611.
[21] Avraham Barkai, Wirtschaftliche Grundanschauungen und Ziele der NSDAP (mit einem unveröffentlichten Dokument aus dem Jahre 1931), in: Jahrbuch des Instituts für Deutsche Geschichte, VII 1978, Universität Tel-Aviv, S. 358.
[22] Hans Reupke, Der Nationalsozialismus und die Wirtschaft, Berlin 1931, S. 29ff, zitiert in: Barkai 1978, S. 362.
[23] Zur Rolle Gottfried Feders: Karl-Heinz Ludwig, Technik und Ingenieure im Dritten Reich, Königstein 1979, S. 73 ff.
[24] Willi A. Boelcke, Die deutsche Wirtschaft 1930-1945. Interna des Reichswirtschaftsministeriums, Düsseldorf 1983, S. 87.
[25] Eugen von Böhm-Bawerk, Kapital und Kapitalzins. 1. Geschichte und Kritik der Kapitalzins-Theorien, Düsseldorf 1994 (Erstausgabe: Innsbruck 1884).
[26] Wenn Barkai die von Feder verbreitete Grundidee „... aus der Sicht moderner ökonomischer Erkenntnisse (als) stichhaltiger ansieht als die ihr damals aus Kreisen der Fachakademiker entgegengehaltene Kritik“, so spielt es damit lediglich auf den Gedanken einer "gemanagten Währung" an, die „Wirtschaftstheorie“ Feders ist damit nicht gemeint. Avraham Barkai, Das Wirtschaftssystem des Nationalsozialismus. Ideologie, Theorie, Politik 1933-1945, Frankfurt/M. 1988, S. 31.
[27] Gottfried Feder, Finanztechnische Grundfragen, in: Völkischer Sprechabend vom 11. Oktober 1924, wiederabgedruckt in: Feder 1935, S. 199ff.
[28] Erik Nölting im Gespräch mit Gottfried Feder 1935, S. 285.
[29] Abgesehen von den „Riesenbetrieben“ (Konzerne, Syndikate, Trusts) und den bereits „sozialisierten“ Unternehmen, die verstaatlicht werden sollen.
[30] Gottfried Feder, Wirtschaftsführung im Dritten Reich, Berlin 1934,S.27.
[31] Feder 1934, S. 31.
[32] Gottfried Feder, Die Aufgaben der Techniker beim Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft, in: Schriften des Reichsbundes Deutscher Technik. Technisch-wirtschaftliche Reihe, Heft 5/1933, S. 1.
[33] Feder 1935, S. 84.
[34] Feder 1938, S. 47.
[35] Beachte auch: Hans Triebel, Nationalsozialismus und Technokratie, in: Zeitschrift der Deutschen Technokatischen Gesellschaft, Jahrgang 1, Heft 1/1933.
[36] Horst Matzerath/Heinrich Volkmann, Modernisierungstheorie und Nationalsozialismus, in: Jürgen Kocka (Hg.) Theorien in der Praxis des Historikers, Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 3, Göttingen 1977; Michael Prinz/Rainer Zitelmann (Hg.): Nationalsozialismus und Modernisierung, Darmstadt 1991; Norbert Frei, Wie modern war der Nationalsozialismus? in- Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft, 19. Jahrgang, Heft 3/Juli-September 1993.
[37] Ra1f Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, München 1968, S. 58f, S. 67, S. 73ff, S. 293.
[38] Das „Volkswagenprojekt“ beispielsweise entsprach voll der nationalsozialistischen Version eines „Volkes auf Rädern“, wobei hier ziemlich klar „fordistische“ Elemente im Zuge einer „nachholenden Modernisierung“ eingeflossen sind. Siehe dazu: Karl Heinz Roth, Nazismus gleich Fordismus? Die deutsche Autoindustrie in den dreißiger Jahren, in: 1999-Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, 5. Jahrgang, Nr. 4/1990.
[39] Barrington Moore, Soziale Ursprünge von Diktatur und Demokratie, Frankfurt/M. 1974, S. 503.
[40] Justus Möser, Patriotische Phantasien (1774), Teilabdruck in: Erkenntnis und Befreiung, 5. Jahrgang, Nr. 44/1922, S. 2 f.
[41] Gerhard Senft, Tyrannei und Modernisierung. Der technoökonomische Wandel im Dritten Reich, in: Österreichische Gesellschaft für Kritische Geografie (Hrsg.), Auf in die Moderne! – Österreich vom Faschismus zum EU-Beitritt, Wien 1996, S. 16 – 76.
[42] Adam Müller, Vom Geiste der Gemeinschaft. Elemente der Staatskunst. Theorie des Geldes, Leipzig 1931. Nicht zufällig wird Müller zu Beginn der 1930er Jahre wieder entdeckt und als geistiger Vater des „nationalen Sozialismus“ (Friedrich Bülow) gefeiert. Hinzuweisen ist an dieser Stelle auch auf den Vertreter der Historischen Schule Georg Friedrich Knapp und dessen „Staatliche Theorie des Geldes“, auf die sich Gottfried Feder besonders berufen hat.
[43] Josef Schlesinger, geb. 1830 in Mährisch-Schönberg, gest. 1901 in Tirol, Sohn eines Webers, lehrte Mathematik und Naturphilosophie, Professor und auch mehrmals Rektor an der k.k. Hochschule für Bodenkultur, politisch aktiv innerhalb der Christlich sozialen Partei als Gemeinderats- und auch als Reichstagsabgeordneter; ausführliche biographische Daten: Ildiko Cazan-Smanyi, Josef Schlesinger, in: Osterreichisches Biographisches Lexikon, 47. Lieferung (Scheu-Schlesinger), Wien 1991, S. 192; Schriften zum „Volksgeld“: Gefahr im Verzuge, Wien 1894; Volksgeld. Befreiung der Staaten und Völker aus den Klauen der Hochfinanz, Wien 1896; Die Wetterschäden und der Finanzminister, Wien 1897; Österreichische Finanzreform, Wien 1897; Zum Ausgleich mit Ungarn, Wien 1898; Projekt für ein österreichisches Volks-Finanz-Institut, Wien 1898; 1250 Millionen Kronen Volksgeschenk zur Erbauung der k.k. Volksbahnen, Wien 1900. Zu Schlesinger ist folgender Hinweis noch relevant. Gerhard Senft, Gesichter der Esoterik. Ein Streifzug durch das Reich des Irrationalismus, Wien 1991, S.15 ff, S. 48 ff. Bezüglich des „Volksgeldes“ beachte auch die herausragende Studie von: John W. Boyer, Political radicalism in late imperial Vienna. Origins of the Christian Social Movement 1848-1897. Chicago-London 1981, S. 108.
44] Wenzel Schober, geb. 27.8.1846 in Burgholz/Böhmen (Zuständigkeitsort: Jaronin bzw. Johannisthal), Vater: Reviervorsteher in Jaronin, Religion: katholisch, Studium des Maschinenbaus in Prag und Wien, arbeitete anschließend als Ingenieur bei der Eisenbahn, Autor zahlreicher Bücher und Broschüren zu den Themen: Geld-Wirtschaft-Technik, gest. 28.9.1928, zuletzt wohnhaft im vierten Wiener Gemeindebezirk (Quellen: Archiv der Technischen Universität Wien und Wiener Landesarchiv). Schriften: Die Noth und ihre Ursachen, Band 1-3, Wien 1880-1882; Die Valuta-Regulierung in Österreich, Wien 1892; Die Mitwirkung der Techniker im neuen Jahrhundert an der Lösung der nationalökonomischen Fragen, Wien 1901; Die Ursachen des wirtschaftlichen Niedergangs und des unvermeidlichen wirtschaftlichen Verderbens in Osterreich und Ungarn, Wien 1910. Beachte auch: Gerhard Senft, Vom „Volksgeld“ zum MEFO-Wechsel. Über Ursprung und Wesen der nationalsozialistischen Geld- und Finanzpolitik, in: Zeitschrift für Sozialökonomie, 27. Jahrgang, 85. Folge, Juni 1990.
[45] Schober 1892, S. 30.
[46] Eine für den Historiker interessante Parallelentwicklung zu Schober findet sich im tschechischen Ilgau. Dort wirkte ebenfalls schon vor dem Ersten Weltkrieg ein Eisenbahningenieur - nämlich Rudolf Jung. Und auch er versuchte die Zinsfrage mit judenfeindlichen Parolen zu verbinden. Jung entfaltete sich politisch innerhalb der DAP (einer Vorläuferorganisation der NSDAP) und er gab die Zeitschrift „Volk und Gemeinde“ heraus, in der später auch Gottfried Feder fleißig publizierte.
[47] Gottfried Feder, Der deutsche Staat auf nationaler und sozialer Grundlage, München 1935, S. 63.
[48] Avraham Barkai etwa vermutete in Gesell einen Vorläufer Feders und auch Ernst Nolte deutete ähnliches an. Barkai 1988, S. 29; Nolte 1963, S. 399. Wie Avraham Barkai in einem Schreiben an den Autor bestätigt, ist der Zusammenhang zwischen den Wiener „Geldreformern“ um Schober/Schlesinger und Gottfried Feder in der historischen Forschung bislang noch nicht beachtet worden. Avraham Barkai (Lehavoth Habashan, Israel) im Brief an Gerhard Senft vom 20. August 1990.
[49] Gerhard Schulz, Aufstieg des Nationalsozialismus. Krise und Revolution in Deutschland, Frankfurt/M., Berlin, Wien 1975, S. 611. Auch Bracher spricht von „einer weit verbreiteten Polemik gegen das Finanzkapital und die Zinswirtschaft“ zur Zeit Gottfried Feders. Karl Dietrich Bracher, Die deutsche Diktatur. Entstehung, Struktur, Folgen des Nationalsozialismus, Köln- Berlin 1972, S. 96.
[50] Werner Onken glaubt behaupten zu können, dass Gesell 1913 erstmals diesen Begriff ins Spiel gebracht hat. Werner Onken im Vorwort zu: Silvio Gesell, Gesammelte Werke, Band 8, 1913 - 1916, Lütjenburg 1990, S. 9.
[51] Feder nahm für sich in Anspruch, der „Brechung der Zinsknechtschaft“ das Ursprungssiegel aufgedrückt zu haben. Feder im Gespräch mit Nölting. Feder 1935, S. 285. Nach allen vorliegenden Fakten kann aber mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass Feder als originärer Begriffs-Schöpfer eine Rolle gespielt hat.
[52] Vergleiche mit den politischen Begriffen „Hochfinanz“, „Dollarimperialismus“ etc., die sowohl von Rechten wie Linken verwendet wurden.
[53] Herbert Matis, Das Industriesystem. Wirtschaftswachstum und sozialer Wandel im 19. Jahrhundert, Wien 1988, S. 262.
[54] Otto Bauers Darstellung der Hauptthesen Rudolf Hilferdings in einer Besprechung des „Finanzkapitals“. Otto Bauer, Das Finanzkapital, in: Der Kampf Sozialdemokratische Monatsschrift, Jahrgang 3, 9. Heft, 1. Juni 1910, S. 394.
[55] Bauer 1910, S. 395.
[56] Die ersten hundert Jahre österreichische Sozialdemokratie 1888 bis 1988. Eine Ausstellung der österreichischen Gesellschaft für Kulturpolitik, in Zusammenarbeit mit dem Ludwig Boltzmann-Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung, Wien. Wissenschaftliche Gesamtleitung: Helene Maimann.
[57] Siehe Dokument in: Carola Stern, Ulbricht. Eine politische Biographie, Köln-Berlin 1964, S. 270. Die Saarbrücker Arbeiterzeitung war offenbar ein auf deutschem Reichsgebiet „illegal“ verbreitetes Blatt der Kornmunisten. Hergestellt wurde die Zeitung im Saarland, das 1934 nicht unter deutscher, sondern unter Verwaltung des Völkerbundes stand. Walter Ulbricht veröffentlichte seine Beträge zu diesem Zeitpunkt bereits vom Ausland aus. (Nach Moskau ging er erst 1938.)
[58] Gottfried Feder, Kampf gegen den Zins, in: Der deutsche Sozialist, Nr. 15 vom 16. April 1921, zitiert in 0. M. (0tto Maaß), Die „Brechung der Zinsknechtschaft“ durch G. Feder, in: Benedikt Uhlemayer, Das Wirtschaftsprogramm der Nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei, Erfurt 1923, S. 12.
[59] Werner Onken berichtet von einer „zufälligen Begegnung Silvio Gesells mit dem nationalsozialistischen Propagandisten Gottfried Feder“, ein „von gegenseitigem Unverständnis gekennzeichneten Treffen“. Werner Onken im Vorwort zu: Silvio Gesell, Gesammelte Werke, Band 10, 1916-1919, Lütjenburg 1991,S.16.
[60] Feder 1923, S. 171.
[61] Gottfried Feder, Der deutsche Staat aufnationaler und sozialer Grundlage, München 1935, S. 102.
[62] Feder 1923, S. 171.
[63] Gottfried Feder, Falsche Propheten und Schwarmgeister, in: Völkischer Beobachter vom 27. Oktober 1923.
[64] Gottfried Feder, Die Linzer Beschlüsse zur Geldreform, in: Volk und Gemeinde. Monatsblätter für nationalen Sozialismus und Gemeindepolitik, 4. Jahrgang/1922, Folge 5, S. 49; Beachte auch Volk und Gemeinde 1922, Folge 3, S. 31.
[65] Feder, Volk und Gemeinde 1922, Folge 8, S. 75.
[66] Feder 1935, S. 60.
[67] Feder 1938, S. 31.
[68] Für Silvio Gesell war es absurd, Grund und Boden zu einer handelbaren Ware zu machen. Ein prinzipieller Anspruch auf Grund und Boden, meinte Gesell, müsse für jeden Menschen gegeben sein, so wie eben Ansprüche auf Atemluft oder Trinkwasser völlig natürlich gegeben seien.
[69] Feder 1938, S. 33.
[70] Zusatzerklärung Adolf Hitlers in: Feder 1938, S. 7.
[71] Bezüglich der „Bodenreform“-Vorstellungen der Nationalisten, die ja nichts anderes als den imperialistischen Gedanken einer aggressiven Außenkolonisation beherbergten, siehe: Feder 1938, S. 11 ff und S. 15/Punkt 3. Zur Durchsetzung „rassenhygienischer“ Aufgaben - um das „Jungvolk“ wieder frisch im ländlichen Bereich zu verwurzeln - möchte Gottfried Feder, in Großstädten wie Berlin „einmal ein paar Batterien auffahren“ lassen, um einige Stadtviertel „zusammenzukartätschen“, d. h. mit modernen militärischen Mitteln unbewohnbar zu machen. Gottfried Feder, Die Aufgaben der Techniker beim Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft, in: Schriften des Reichsbundes Deutscher Technik. Technisch-wirtschaftliche Reihe / Heft 5, 1933, S. 22; Gottfried Feder, Wirtschaftstechnik und Arbeitsbeschaffung, in: Schriften des Reichsbundes Deutscher Technik. Technisch-wirtschaftliche Reihe / Heft 6, 1933, S. 12.
[72] Feder, Volk und Gemeinde 1922, Folge 4, S. 28.
[73] Feder, Volk und Gemeinde 1922, Folge 5, S. 50.
[74] Feder 1938, S. 39.
[75] Feder 1938, S. 16.
[76] Ein dunkler Punkt bei Gesell entspricht dem Umstand, dass einige Passagen in seinem Gesamtwerk sozialdarwinistisch interpretiert werden können. Klarzustellen ist allerdings, dass Anknüpfungspunkte zu einem faschistisch-sozialdarwinistischen Denken („Kampf der Völker ums Dasein“) nicht gegeben sind, da Gesell mit seinem Gedankengut zu einem großen Teil in der Tradition des Liberalismus der 19. Jahrhunderts steht. Das Problematische an der liberalen Doktrin dieser Zeit war u. a. die Form des Sozialdarwinismus, wie sie besonders in der Manchesterschule („Freie Bahn dem Tüchtigen“ ohne Rücksicht auf Verluste) zum Ausdruck kam, die aber mit Faschismus und Nationalsozialismus nichts zu tun hat.
[77] Ein früher völkisch orientierter Gesellanhänger war Gustav Simons; nach dem Ersten Weltkrieg dürften Ernst Hunkel und Helmut Haacke die Hauptpersonen in dieser Riege gewesen sein.
[78] Freiwirtschaftliche Zeitung (Hg.), Der Wirtschaftsirrtum der Nationalsozialisten, Erfurt 1930, S. 12f.
[79] Aus dem Programm des Physiokratischen Kampfbundes (FFF) in Deutschland: „Neben Aufklärung in Wort und Schrift innerhalb und außerhalb aller Bünde, Parteien, Vereine usw. sucht er (der FFF-Bund) besonders die Wirtschaftsverbände (Gewerkschaften, Handels-, Gewerbe- und Landwirtschaftskammern, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände) zu gewinnen und durch Volksbegehr und Volksentscheid seine Forderungen durchzusetzen.“ Auszug in: Erkenntnis und Befreiung, 7. Jahrgang, Nr. 48/1924, S. 3.
[80] Benedikt Uhlemayr, Das Wirtschaftsprogramm der Nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei, Erfurt 1923.
[81] Paul Nagel, Geld und Boden, Frankfurt/M. 1928, S. 235.
[82] Erich Mäder, Theorie und Praxis der Nationalsozialisten , in: Arbeit und Geldpolitik, 2. Jahrgang, Nr. 3/März 1932. Nach der Rundfunkdiskussion zwischen Erik Nölting von der Akademie der Arbeit und Gottfried Feder schrieb Erich Mäder: „Es war für Genossen Nölting gewiss ein persönliches Opfer, sich mit solchem ,Theoretiker' an ein Mikrophon zu stellen, um einen theoretischen Kampf zu führen. Und doch sind solche Auseinandersetzungen dringend notwendig, denn mit ihrem hysterischen Geschrei haben die Nazis - insbesondere in den Reihen der deklassierten Mittelständler - eine heillose Verwirrung angerichtet, und uns Sozialisten muss jede Gelegenheit willkommen sein, in breitester Öffentlichkeit den Hitler-Federschen Unsinn zu kritisieren. ... Es war gewiss nur ein Mangel an Zeit, wenn Genosse Nölting dem allmächtigen Programmschöpfer von Hitlers Gnaden nicht eine ganze Reihe weiterer Niederlagen bereiten konnte, d. h. neben denjenigen, die Gottfried der Streitbare ohnehin einstecken musste." Entnommen aus: rbeiterklasse und Geldpolitik, 1. Jahrgang, Nr. 1/1931, S. 17.
[83] Hanna Blumenthal im Brief an den österreichischen Freiwirtschaftler Franz Prankl vom 10. Jänner 1935 (Nachlass Franz Prankl).
[84] Die Geschichte der Freiwirtschaftsbewegung ist inzwischen sehr gut dokumentiert bei: Günter Bartsch, Die NWO-Bewegung Silvio Gesells. Geschichtlicher Grundriss 1891 bis 1992/ 93, Lütjenburg 1994; zur Phase um 1933: Bartsch 1994, S. 93 ff.
[85] Willi A. Boelcke, Die deutsche Wirtschaft 1930-1945. Interna des Reichswirtschaftsministeriums, Düsseldorf 1983, S. 129.
[86] Die ungeistigen Ergüsse Gottfried Feders finden heute höchstens noch in unbedeutenden rechtsextremen Sekten eine gewisse Resonanz. Siehe dazu die Zeitschrift: Bürgerschutz Österreich (ÖBS), Nr. 2/1995, S. 6. In einer Publikation des rechten Flügels der sogenannten "Ergokratischen Bewegung" aus dem Jahr 1994 (!) ist sogar noch ein Rekurs auf die gesamte Gruppe „Schlesinger-Schober-Feder“ zu finden. Albert Lämmel, Ergokratie. Idee und Bewegung und Ausblick, Rastatt 1994, S. 52. In Veröffentlichungen der Neuen Rechten hingegen, dem geistigen Rückgrad des aktuellen Rechtskurses in der europäischen Landschaft, steht zum Thema "Der Zins" zu lesen:
„Der Geldeigentümer, der sein Geld anderen zur Verfügung stellt, verlangt dafür einen Preis, den Zins. Die Frage, ob man den Zins als Entgelt für Konsumverzicht oder anders erklären kann, braucht uns hier nicht aufzuhalten. Würde es keinen Zins geben, würde der Geldeigentümer keine Veranlassung sehen, Kredite zu geben. Er würde das Geld entweder in den Konsum oder, soweit ihm das überhaupt möglich ist, in Investitionen stecken oder es zu Hause aufbewahren. Das Zur-Verfügung-Stellen von Kapitalien direkt oder auf dem Umwege über die Banken für Investitionen usw. wäre nahezu unmöglich. Der Zins ist also eine Erscheinung, die aus dem Wirtschaftsleben nicht fort zu denken ist. Eine Kapitalsammelstelle muss den Zinsaufwand weitergeben. Sie muss aber den Kreditnehmer auch mit anteiligen Betriebskosten sowie den Anteilen für die notwendige Eigenkapitalbildung und die Bildung von Reserven belasten. Die zwischen Zinsaufwand und Zinsertrag bestehende Zinsspanne ist also notwendig, strittig kann allenfalls ihre Höhe sein. Obwohl die Berechtigung des Zinses auf der Hand liegt, sterben doch die Theoretiker nicht aus, die eine Wirtschaftsordnung ohne Zins konstruieren wollen. Sie verweisen in der Regel auf Zeiten und Länder, in denen ein allgemeines Zinsverbot durchgesetzt wurde und in welchem die Wirtschaft gleichwohl funktionierte. Eines der bekannten Beispiele sind die islamischen Länder. Betrachtet man jedoch die Realität, so sieht man, dass die Banken und Kreditgeber Gebühren mit durchaus zinsähnlichem Charakter nehmen, das Geschäftsgebaren unterscheidet sich nicht wesentlich von dem z. B. in Europa üblichen." Klaus D. Ludwig; Für eine neue Wirtschaftordnung. Grundlagen der zukünftigen Volkswirtschaft, Hamburg 1979; S. 79. Dieses Schriftwerk erschien als Band 4 in der Reihe „Junge Kritik". Das Hausblatt der Neuen Rechten, in dem wie in der „Jungen Kritik" die "völkische Solidargemeinschaft" besungen wird, heißt „Junge Freiheit. Wochenzeitung für Politik und Kultur" und es erscheint in einer Auflage von 35 000 Exemplaren in Potsdam.
[87] Vergleiche Klaus D. Ludwig 1979, S. 96.