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Prof. Dr. Elmar Altvater & Prof. Dr. Birgit Mahnkopf
Grenzen der Globalisierung – Ökonomie, Ökologie und Politik in der Weltgesellschaft
Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot, 1. Auflage 1996.

„Geld ist weder Schleier noch ‚pfiffig ausgedachtes’ Auskunftsmittel (Marx) noch bloßes neutrales Zirkulationsmittel.“
(S. 145 am Beginn des 5. Kapitels „Der ubiquitäre Geldfetisch“.)

„Schon Aristoteles übt Kritik am ‚Kapitalerwerbswesen’. Geld ist ‚Element und Grenze des Tauschverkehrs. Und unbegrenzt ist also dieser Reichtum. ... Alle Geschäftemacher ... wollen ins Unbegrenzte hinein ihr Geld vermehren. ... Weil jenes Begehren ins Grenzenlose geht, so begehren sie auch unbegrenzte Möglichkeiten, dies zu bewerkstelligen.“ (S. 166. - Aristoteles 1989 (Politik, 1. Buch, 1256b)

„Zinsen auf geliehenes Geld, das nicht vom Schuldner als Kapital zur Produktion eines Mehrwerts eingesetzt werden kann, sind tatsächlich ein sozialer und ökonomischer Fremdkörper, der folglich in allen großen Weltreligionen geächtet, ja perhorresziert wird. Zinsen wirken wie eine Steuer auf den Produktionsprozess, der daher unbedingt einen Überschuss erbringen muss. In diesem ökonomischen Zwang, in der harten ‚Budgetrestriktion’ kommt die Unterwerfung sozialer, politischer und natürlicher Verhältnisse unter das ökonomische Prinzip zum Ausdruck.
Dieser Zwang als solcher ist nicht neu. Er hat in den großen Religionen und philosophischen Systemen Abwehrreaktionen ausgelöst: das islamische oder kanonische Zinsverbot. Auf dem Zweiten Lateranischen Konzil von 1139 wurden Wucherer, d.h. Leute, die Zinsen nahmen, mit harten weltlichen und göttlichen Strafen bedroht: ihnen sollte die Beichte, ja das christliche Begräbnis verwehrt bleiben. Später wurde diese drakonische Regel abgewandelt. Kreditgeber kamen nicht in die Hölle. Für sie wurde das ‚Fegefeuer’ erfunden, in dem sie eine gewisse Zeitperiode zur Reinigung von der Sünde des Zinsschneidens schmoren sollten, um danach aber unbedingten Zugang zum Himmel zu erhalten (Le Goff 1988). Der Zwang, dem Schuldner ausgesetzt werden, kann so gewaltig sein, dass ihre Vermögen aufgezehrt und ihre Existenz zerstört werden. Die sozialen Folgen einer Überschuldung sind zersetzend. In früheren Zeiten drohten Schuldknechtschaft und Schuldturm, heute andere, rationalisierte Formen der Abhängigkeit und der Einengung von Handlungsspielräumen.“ (S. 166 - 167)

„Auch im Islam gibt es das Zinsverbot verbaliter bis in unsere Tage; nur ist es dadurch de facto aufgehoben, dass an Stelle der Zinsen Gebühren und Gewinne auf Beteiligungen gezahlt werden, die aber ökonomisch wie Zinsen wirken“. (S. 167)

„Geld ist immer eine pekuniäre Forderung, der eine pekuniäre Verpflichtung gegenübersteht. Mit dem Wachstum der Geldvermögen steigen auch die Schulden und mit ihnen der Zwang, einen Überschuss zu erzeugen, um Geldvermögen bedienen zu können.“ (S. 167)

„Da das Geld eine Größe ist, die sich als Geld (also nicht als Zirkulationsmittel, wo die zu zirkulierenden Waren, sogar quantitätstheoretisch begründbar, ein reales Maß vorgeben) selbstreferenziell auf sich in Form des intertemporalen Zinssatzes bezieht, ist das Regelventil im Prinzip ausgeschaltet. Es gibt nur eine externe Regelgröße, nämlich die reale Leistungsfähigkeit von Schuldnern. Diese wird gerade durch die Wirkung der harten Budgetrestriktionen des Geldes höher gestellt. Denn die Dynamik des Geldes verlangt auch der realen Ökonomie und der Gesellschaft eine permanente Dynamisierung ab. Allerdings sind die Steigerungsmöglichkeiten des Surplus energetisch und material und daher auch ökonomisch (die Grenzkosten des Produktivitätsfortschritts steigen überproportional an) und sozial (der Widerstand gegen die ‚Gewalt des Geldes’ wächst) doch begrenzt. Daran ändern keine Finanzinnovationen etwas. Dann könnte es geschehen, dass der sich aufstauende Druck des Geldsystems in den bereits bekannten beiden Formen - Bankrott oder/und Schuldenerlass - Luft macht. Die Zinsforderungen der Geldvermögensbesitzer sind also in Relation zur Produktivitätssteigerung und zur Profitrate auf Produktivkapital zu sehen. Wenn man das Wachstum des Arbeitsvolumens einbezieht, könnte die Wachstumsrate des Inlandsprodukts als Referenzgröße genommen werden. Dabei können, zusammenfassend, mehrere Fälle unterschieden werden:
1.: Zinsen = 0. Fall des islamischen oder aristotelischen Zinsverbots in „langsamen“ Gesellschaften.
2.: Zinsen < Produktivitätssteigerung. Kein Problem mit Zinsendienst, solange überhaupt die Produktivität steigt.
3.: Zinsen < Profitrate. Kein Problem mit Zinsendienst; kein Hindernis für Akkumulation.
4.: Zinsen > Profitrate. Zinsendienst geht an die produktive Substanz; Verringerung der Akkumulationsrate.
5.: Zinsen > Produktivitätssteigerung. Zinsendienst nur möglich durch Umverteilung zu Lasten der Löhne und Gewinne.
Nur die ersten drei Fälle sind für den realökonomischen Akkumulationsprozess unproblematisch; die beiden letzten Fälle bewirken eine Verlangsamung der Akkumulation und verlangen gar einen Umverteilungsprozess des Wertprodukts, der globale Ausmaße annimmt.“ (S. 168-169)

„Die Staatsschulden sind also offensichtlich eine Funktionsnotwendigkeit im deregulierten Derivatenkapitalismus. Die Bedienung freilich wirft Probleme auf, da diese die Funktion der Erhaltung privater Geldvermögen nicht erfüllen könnte, wenn der öffentliche Schuldendienst durch Steuern auf Geldvermögen finanziert würde. Dann bleibt nur der Zugriff auf die Einkommen der Nicht-Geldvermögensbesitzer und die sozialstaatlichen Transferzahlungen.“ (S. 171)