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Sahra Wagenknecht
Freiheit statt Kapitalismus
Frankfurt/M. 2011.

„Totentanz der Finanzgiganten: Als im Herbst 2008 das Weltfinanzsystem in lichten Flammen stand und die Regierungen nahezu aller Industrieländer sich gezwungen sahen, hunderte Milliarden Euro und Dollar in die Glut zu werfen, um wenigstens die gefährlichsten Brandherde zu ersticken, waren viele heilige Schwüre gen Himmel geflogen: Den Zockerbanden sollte das Handwerk gelegt, hochriskante Renditeschinderei auf Kosten der Allgemeinheit in Zukunft verhindert werden. … Schluss sollte sein mit einem System der Gier und Selbstbereicherung, das mit seinen giftigen Ausscheidungen ganz Volkswirtschaften in den Ruin zu treiben drohte. … Zwar wurde hier ein wenig geflickt und dort ein bisschen nachgebessert, aber der eigentlichen Ursache der ganzen Malaise wurde nicht zu Leibe gerückt: Diese Ursache ist ein seit drei Jahrzehnten völlig unverhältnismäßig wuchernder Finanzsektor, der trotz (oder gerade wegen!) seiner mittlerweile gigantischen Größe und Macht seine eigentliche und wichtigste Aufgabe nicht mehr erfüllt: die Ersparnisse der Menschen in halbwegs sinnvolle produktive Verwendungen zu lenken.“ (S. 33–34)

„Finanzinnovationen – mit diesem Begriff, der Fortschritt und Kreativität signalisieren soll, wird die Flut all jener Finanzpapiere umschrieben, die die Märkte in den letzten Jahrzehnten überschwemmt und immer krisenanfälliger und unübersichtlicher gemacht haben. … Der ehemalige US-Notenbankchef Paul Volcker vertritt die Meinung, dass die einzig nützliche ‚Finanzinnovation’ des letzten Vierteljahrhunderts die Erfindung des Geldautomaten war. Alles andere sei Wildwuchs, ohne wirtschaftlichen Sinn und Verstand. Aber natürlich trotzdem hochprofitabel für die Finanzindustrie.“ (S. 40–41)

„Tatsächlich gibt es kaum einen Markt, der so wenig mit dem zu tun hat, was man normalerweise unter ‚Markt’ versteht, wie der heutige globale Finanzmarkt. … Eine Grundbedingung dafür, dass ein Markt funktioniert, besteht darin, dass kein Akteur – kein Anbieter und auch kein Nachfrager – so groß sein darf, dass er den Preis eines Gutes oder die Menge, in der es sich auf dem Markt befindet, nach Lust und Laune bestimmen kann. Genau das aber ist auf den heutigen Finanzmärkten der Fall. Fast alles wird von ganz wenigen Akteuren bestimmt.“ (S. 55)

„Dem Finanzmarkt fehlt noch ein weiteres wichtiges Prinzip, das eine Voraussetzung für das Funktionieren von Märkten ist: das Prinzip der Haftung.“ (S. 63)

„In Wahrheit beruhen die Billionen an Geldvermögen, die sich … heute auf den Finanzmärkten türmen, auf nichts als solchen Schneeballsystemen, die in dem Augenblick in sich zusammenbrechen müssen, wo der Geld-Helikopter nicht mehr für Nachschub sorgt, also der Kreditmotor stottert.“ (S. 79–80)

„Der Finanzinvestor ist eher der Anti-Investitions-Anleger, denn er strebt danach die Mittel, die das Unternehmen eigentlich für Investitionen bräuchte, möglichst umfassend aus ihm heraus zu ziehen, weil er an der langfristigen Unternehmensentwicklung ohnehin nicht interessiert ist. Die institutionellen Investoren sind in den letzten Jahrzehnten auf den Aktienmärkten immer dominanter geworden, weil die Vermögensexplosion infolge der Geldmaschine der Banken und der Einkommensumverteilung zugunsten der Reichen sowie die weltweite Privatisierung der Rente zunehmend gewaltigere Summen Anlagen suchender Gelder in ihrer Verfügung konzentriert haben.“ (S. 98)

„Nichts ist verlogener als die These, wir lebten in einer Leistungsgesellschaft. … Eine Gesellschaft, die unnützes Tun so ungleich viel höher honoriert als sinnvolles und nützliches, beruht offensichtlich nicht auf leistungsgerechter Bezahlung, sondern auf dem genauen Gegenteil. Der Fehler des heutigen Kapitalismus ist nicht, dass er eine Leistungsgesellschaft wäre, sondern dass er keine Leistungsgesellschaft ist.“ (S. 111 – 112)

„Tatsächlich speist sich die Vermögensbildung zum übergroßen Teil aus den Einkünften aus bereits vorhandenem Vermögen. Immerhin 80 Prozent des neu gebildeten Geldvermögens entstehen in der Bundesrepublik aus Zinsen und Dividenden.“ (S. 119)