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Roland Geitmann:
Bibel, Kirchen und Bodeneigentum
Zuerst veröffentlicht in der „Zeitschrift für Sozialökonomie“ 112. Folge (1997), S. 11–21.

Übersicht
1  Altes Testament: „Die Erde ist des Herrn.“ (Ps. 24.1)
2  Neues Testament: „Verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen."
3  Kirchenväter: Reichtum mit den Armen teilen.
4  Römisches und germanisches Bodenrecht: Unterschiedliche Stile
5  Kirchliches Bodeneigentum: Ein Modell?
6  Katholische Soziallehre: (Dem) Eigentum verpflichtet
7  Protestanten
8  Jubeljahr 2000 und Erklärung von Accra
Anmerkungen

Seitdem der Mensch nicht mehr nomadenhaft umherschweift, sondern das Land bebaut und feste Häuser errichtet, ist sein Verhältnis zum Boden ein Problem, das trotz vielfältiger Anläufe bis heute nicht dauerhaft gelöst ist. Dabei lassen sich die Grundanforderungen an eine sachgerechte Bodenordnung leicht zusammenfassen: Jeder Mensch braucht Boden zum Wohnen und Arbeiten, zur Ernährung und Fortbewegung. Die gleiche Zugänglichkeit des Bodens müsste deswegen als Menschenrecht anerkannt sein. Der Boden wurde nicht von Menschen produziert, ist kaum vermehrbar und wird bei steigender Bevölkerungszahl immer knapper, muss also sparsam verwendet werden. Der Boden ist zwar verletzbar, aber nicht verbrauchbar, sondern nur nutzbar. Deswegen kann es am Boden eigentlich kein Eigentum geben, sondern nur Nutzungsrechte, die jedoch gesichert und dauerhaft sein müssen.

Als Anreiz, den Boden sorgsam selbst zu nutzen oder an andere abzutreten, könnten standortgerechte Nutzungsentgelte dienen. Diese sollten pro Kopf oder gezielt für die Kindererziehung rückverteilt werden, so dass die durchschnittliche Bodeninanspruchnahme nahezu kostenlos wäre und kinderreiche Familien hierdurch eine Einnahmequelle bekämen. Eine die Bodenrente voll abschöpfende und rückverteilte Grundsteuer hätte denselben Effekt, so dass es letztlich eine Frage des Etiketts ist, ob man von (steuerbelastetem) Bodeneigentum oder (entgeltlichem) Nutzungsrecht spricht. Auf beiden Wegen gelingt es, den Boden zu entkapitalisieren, also in dem Sinne unverkäuflich zu machen, dass für die Übertragung des Nutzungsrechts kein Entgelt verlangt wird.

Im Folgenden soll untersucht werden, ob und inwieweit solche sich aus der Sache ergebenden bodenreformerischen Vorstellungen Unterstützung und vielleicht auch Vertiefung durch die Bibel und durch die Geschichte kirchlicher Lehre und Praxis erfahren. Denn ein verantwortlicher Umgang mit der Erde, dem Geschenk Gottes an die Menschheit, ist ein Kernbestandteil aller religiösen Unterweisung, die sich in Rechtsordnungen niederschlagen kann. Was aus jüdisch-christlicher Tradition hierzu im Laufe der letzten drei Jahrtausende gesagt wurde, wie dies auf die Entwicklung der Rechtsordnung einwirkte und wie die kirchliche Praxis war, kann hier allerdings nur in sehr groben Zügen skizziert werden.

1  Altes Testament: „Die Erde ist des Herrn“ (Ps 24,1)

Dem erfolgreichen Viehzüchter und Ahnherrn des jüdischen Volkes Abraham versprach nach der Überlieferung der Herr, ihm und seinen Nachkommen das Land Kanaan zu eigen zu geben (1. Mose 13,15). Das erste Grundstück mit Bäumen und Höhle bei Machpela kaufte Abraham für 400 Lot Silber als Familiengrabstätte (1. Mose 23). Nach dem Auszug aus Ägypten musste das Volk Israel erst viele blutige Kämpfe bestehen, bevor es das verheißene Land in Besitz nehmen konnte. Eingehend schildert das Buch Josua die Zuteilung des eroberten Landes an die Stämme in „Erbbesitz". Nur der Priesterstamm der Leviten bekam keinen Erbbesitz, „denn der Herr, der Gott Israels, er ist ihr Erbbesitz“ (Josua 13, 33). Statt eines eigenen Gebietsanteils erhielten die Leviten 48 im ganzen Land verteilte Ortschaften samt den umgebenden Weideplätzen (Josua 14, 4 und Kap. 21).

Die den einzelnen Familien als Erbbesitz zugewiesenen Landparzellen galten grundsätzlich als unverkäuflich, um die Anhäufung von Grund und Boden in der Hand weniger Familien zu vermeiden (1. Kön 21, 3). Doch durch königliche Landschenkungen an Beamte, Offiziere und Kaufleute entstand Großgrundbesitz. Kleine Bauern verschuldeten sich und verpfändeten dafür nicht nur ihre bewegliche Habe, sondern auch ihre Grundstücke und sich selbst und wurden schließlich Tagelöhner und Sklaven. Die Propheten Jesaja (5, 8), Micha (2, 1 - 2) und Amos (2, 6; 5, 11) beklagten diese Entwicklung des 9. und 8. Jahrhunderts, und in mehreren Anläufen versuchten priesterliche Reformer ihr entgegenzuwirken: Ende des 8. Jahrhunderts mit dem Zinsverbot (2. Mose 22, 25) und dem Gebot der Brache im 7. Jahr (2. Mose 23, 1O f.), Ende des 7. Jahrhunderts mit dem Erlassjahr (5. Mose 15) und schließlich mit dem Jubeljahrgesetz (3. Mose 25), das wahrscheinlich in der frühen nachexilischen Zeit (um 500 vor Christi) von Priestern aus der Schule des Propheten Hesekiel konzipiert wurde.

Nach sieben mal sieben Jahren sollte die Lärmposaune erschallen und ein Jubel- (Jobel- oder Hall-)jahr ausgerufen werden. Der Bodenbesitz sollte an die ursprünglichen Familien zurückfallen und die Sklaven sollten befreit werden. Für das Bodenrecht wurden folgende sehr konkrete und in sich schlüssige Regeln aufgestellt:
"In diesem Halljahr sollt ihr ein jeder wieder zu seinem Besitz kommen. Wenn du deinem Nächsten etwas verkaufst oder ihm etwas abkaufst, so soll keiner seinen Bruder übervorteilen; nach der Zahl der Jahre, die seit dem Halljahr vergangen sind, soll sich dein Kaufpreis richten, und nach der Zahl der Erntejahre soll er es dir verkaufen. Je mehr Jahre es noch sind (bis zum nächsten Halljahr), um so größer soll der Kaufpreis sein, und je weniger Jahre, um so kleiner der Kaufpreis; denn er verkauft dir eine (bestimmte) Anzahl von Jahreserträgen“ (3. Mose 25, 13 - 16).

Und weiter heißt es in Vers 23:
„Grund und Boden darf nicht für immer verkauft werden, denn das Land ist mein und ihr seid Fremdlinge und Beisassen bei mir.“

Die weiteren Verse dieses Kapitels regeln das Rückkaufsrecht des ursprünglichen Besitzers und seiner Familie zum Wert der bis zum nächsten Jubeljahr noch ausstehenden Ernten. Im Jubeljahr soll es kostenlos in seinen Besitz zurückgehen. Das Ganze soll allerdings nur außerhalb der ummauerten Stadt gelten, während innerhalb der Stadt lediglich ein Jahr lang das Rückkaufsrecht (zum vollen Erwerbspreis) besteht, bis das Eigentum unwiderruflich an den Käufer übergeht. Nur die Leviten, also die Priester, haben zeitlich unbeschränkte Rückkaufsmöglichkeiten und erhalten im Jubeljahr auch ihre Stadthäuser zurück.

Über die Anwendung dieser weisen Regeln ist leider nichts bekannt. Möglicherweise waren sie nur für das Verpfänden von Grundstücken gemeint. (1) Im Gegensatz zum Zinsverbot und zum Erlassjahr wurde das Jubeljahr wohl niemals eingehalten. Doch kann die Idee des schrumpfenden Rückkaufspreises uns noch heute anregender Hinweis dafür sein, dass der uns von Gott geliehene Boden nicht auf Dauer ausbeuterische Kapitalanlage werden darf, sondern in Rhythmen denen zufallen muss, die ihn für ihr Leben benötigen.

2  Neues Testament: „Verkaufe alles, was du hast, und gib es Armen." (Mt. 19, 21)

Jesus Christus entwickelte keine neue Gesellschaftsordnung. Zum einen bekannte er sich zur bestehenden Ordnung (Mt. 5,17), zum anderen ging er in seinen Forderungen an den Einzelnen weit darüber hinaus. Seine Jünger forderte er auf, ihren Beruf, ihre Schiffe, ihre Familie und ihr Haus aufzugeben und ihm nachzufolgen (Mk. 1,16 ff., Lk 5, 11). Ohne Tasche und Nahrungsvorrat schickte er sie auf den Weg (Lk 9, 3; 10, 4; Mk 6, 8).

„Sorget euch nicht um eurer Leben, was ihr essen oder was ihr trinken sollt, noch um euren Leib, was ihr anziehen sollt!“ (Mt. 6, 25)

Besonders deutlich wird Jesu Haltung zu irdischem Besitz im Gespräch mit dem reichen Jüngling, der zwar alle Gebote einhielt, aber ihn dennoch besorgt fragte, was er Gutes tun müsse, um das ewige Leben zu erlangen.

„Willst du vollkommen sein, so gehe hin, verkaufe, was du hast, und gib es Armen; und du wirst einen Schatz in den Himmeln haben; und komm, folge mir nach!"(Mt. 19,21)

Der junge Mann ging betrübt weg, weil er viele Güter hatte. Und zu seinen Jüngern gewendet sagte Jesus daraufhin: "Ein Reicher wird (nur) schwer in das Reich der Himmel kommen" (Mt. 19, 2 3), und unterstrich diesen Satz durch das bekannte Bild mit dem Kamel und dem Nadelöhr (2).

Jesus lebte so, wie er sprach. Er besaß weder Grundstück noch Haus, nicht einmal ein eigenes Schlaflager. (Mt. 8, 20) Wenn alle Menschen diese Haltung hätten, gäbe es kein Bodenproblem, allerdings auch kein Haus, um sie zu beherbergen. Jesus macht uns indes darauf aufmerksam, dass wir viel weniger benötigen, als wir annehmen, und das, was wir haben, mit anderen teilen sollen. (Mt. 5,40) Nicht Schätze auf Erden sollen wir sammeln, wo Motten und Rost sie zunichte machen, sondern im Himmel.

„Denn wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein.“ (Mt 6, 21)

Ansatzweise prägte diese Haltung auch die Urchristengemeinde in Jerusalem, worüber die Apostelgeschichte folgendes berichtet: „Alle Gläubiggewordenen aber waren beisammen und hatten alles gemeinsam; und sie verkauften die Güter und die Habe und verteilten sie unter alle, je nachdem einer es nötig hatte." (Apg. 2, 44 f.; s. auch 4, 32 - 37; 5)

Doch schon machte sich ein bedeutsamer Unterschied zu Jesu Aufforderung bemerkbar, indem der Erlös nicht für beliebige Arme, sondern für die eigene Gemeinschaft verwendet wurde.

Auch in den Apostelbriefen finden sich - zum Teil heftige - Anklagen gegen Reiche und den Reichtum, insbesondere im Jakobus-Brief (1, 9 - 11; 2, 1 - 7; 4, 13 - 17; 5, 1 - 6) und im ersten Timotheus-Brief (6, 6 - 10, 17 - 19). Paulus dagegen begnügt sich mit Warnungen vor Habgier (Röm. 1, 29; 1. Kor. 5, 10 f.; 6, 10; 2. Kor. 9, 5; 1. Thess. 4, 6). Hier bahnt sich bereits die unterschiedliche lnterpretation der Lehren Jesu über das Verhältnis zu irdischen Gütern an, die im weiteren Verlauf noch deutlicher wird. Spezielle die Bodenordnung betreffende Äußerungen finden sich allerdings weder in den Apostolischen Schriften noch in den Evangelien.

3  Kirchenväter: Reichtum mit den Armen teilen

Während die als Kirchenväter verehrten altchristlichen Schriftsteller das Zinsnehmen eindeutig und hartnäckig verurteilten, war Bodeneigentum für sie nur ein Teilaspekt der Reichtumsproblematik. Die schwindende Naherwartung der Wiederkunft Christi machte es notwendig, sich auch als Christ in dieser Welt einzurichten, die, hellenistisch und römisch geprägt, das Eigentum auch am Boden kannte und in der Reiche und viele Arme lebten. Die Sorge für alle Gemeindemitglieder und zunehmend auch für den eigenen Bedarf des Klerus machten die christlichen Gemeinden abhängig von Spenden, Schenkungen und Erbschaften gerade auch der Wohlhabenden.

In dieser Spannungslage wurden verschiedene Wege beschritten. Die einen folgten Jesu Aufforderung zur Besitzlosigkeit und kehrten sich als Einsiedler, Bettelmönche und in Klöstern von der Welt ab. Andere kümmerten sich um die Armen in der Welt und bauten gemeindliche Unterstützungsorganisationen und zunehmend einen kirchlichen Apparat auf und brauchten für beides die Mitwirkung der Reichen.

Nur vereinzelt wurde der Gedanke verfolgt, die positive Rechtsordnung so zu gestalten, dass Armut und Reichtum in dieser Krassheit gar nicht erst entstehen. Anders als die jüdischen Priestergelehrten war im Römischen Reich sowohl für Jesus und die Apostel als auch für die Kirchenväter die Gesetzgebung viel zu weit weg, als dass sie darauf Einfluss zu nehmen versuchten. Ihre moralischen Mahnungen sind deshalb an den Einzelnen gerichtet und trotz ihrer deutlichen Sprache so verschieden interpretierbar, dass sich später sowohl Befürworter als auch Kritiker des Privateigentums auf sie stützen (3).

Gemeinschaftseigentum forderten in den ersten beiden Jahrhunderten sowohl die Didache (die älteste erhaltene christliche Kirchenordnung) als auch der Barnabas-Brief. Auch Ambrosius, Bischof von Mailand (geb. ca. 340 in Trier) stellte privates Eigentum in Frage und erinnerte daran, dass die Erde zu gemeinsamem Eigentum für alle geschaffen sei.

„Warum maßet ihr Reichen euch allein ein Eigentumsrecht an?“ - „Nicht von deinem Eigentum schenkst du den Armen, sondern gibst ihm von dem Seinigen zurück.“ (4)

Andere hielten den Reichtum an sich nicht für tadelnswert, forderten aber seinen rechten Gebrauch zugunsten anderer. Für Basilius den Großen (331 - 379), Bischof in Cäsarea, der selbst asketisch lebte und geerbtes Vermögen den Armen zuwandte, war Reichtum eine Last, die richtig verwendet werden müsse. Wie Brunnenwasser faule, wenn nichts geschöpft werde, sei Reichtum unnütz, wenn er liegen bleibe.

„Wird er aber aufgerüttelt und geht von einem zum anderen, so wird er gemeinnützig und fruchtbar.“ (5) - „Du tust so vielen Unrecht, als du hättest geben können.“ (6)

Den geizigen Reichen verglich er mit jemandem, der im Theater einen Platz einnimmt und die später Eintretenden daran hindert. Im Gegensatz zu Fischen und Schafen, die gemeinsam nutzen, was die Natur bietet, würden die Menschen die Erde teilen, Haus an Haus fügen, Acker an Acker, um den Nächsten zu berauben. Wer den Nächsten wie sich selbst liebe, besitze nicht mehr als der Nächste. Ein natürliches Erbrecht lehnte Basilius ab (7).

Zurückhaltender äußerte sich dagegen sein jüngerer Bruder Gregor, Bischof von Nyssa, der die staatlichen Eigentumsgesetze anerkannte, aber auch die Pflicht betonte, sich der Bedürftigen anzunehmen. Auch Augustinus (geb. 354), Bischof in Hippo, erkannte die weltlichen Eigentumsgesetze und das Erbrecht an.

In seiner „Summa theologica“ rechtfertigt schließlich Thomas von Aquin (1225 -1274) Privateigentum als vernunftgeborene Ergänzung der naturgesetzlich vorgegebenen Gütergemeinschaft: „Gütergemeinschaft wird auf das Naturgesetz zurückgeführt, nicht etwa in dem Sinne, als ob das Naturgesetz diktierte, dass alle Dinge gemeinsam und nichts zu eigen zu besitzen sei, sondern insofern, als nach dem Naturgesetz keine Besitzverteilung existiert, diese vielmehr aus menschlicher Übereinkunft entsprang, die ja unter das positive Gesetz fällt. Somit läuft das Sonderrecht am Besitz nicht dem Naturgesetz zuwider, sondern stellt eine von der menschlichen Vernunft aus gemachte Ergänzung dar." (8)

Hierauf stützt die katholische Kirche bis heute die Anerkennung des Privateigentums auch am Boden. Nach Thomas von Aquin hat jeder Mensch jederzeit das unverwirkbare Recht auf den absolut notwendigen Lebensunterhalt. (9) Daraus müsste sich eigentlich auch ein Recht auf Bodennutzung ableiten lassen, soweit es für Ernährung und Unterkunft notwendig ist.

4  Römisches und germanisches Bodenrecht: Unterschiedliche Stile

Gelegentlich wird behauptet, Privateigentum am Boden gäbe es in Deutschland erst, seitdem Kaiser Maximilian im Jahre 1495 auf kirchlichen Druck das römische Recht eingeführt habe (10). Diese Darstellung ist unzutreffend. Privates Bodeneigentum gab es schon vorher, wenn auch erst um etliche Jahrhunderte später beginnend als bei den Römern. Im Jahre 1495 geschah kein abrupter Wechsel vom germanischen Gemeinschaftsrecht zu römischer absoluter Verfügungsgewalt des Einzelnen.

Das rechtliche Instrumentarium des Privatrechts sagt wenig aus über die tatsächlichen Rechtsverhältnisse, aber viel über Denkweise und Stil der Verfasser. In seiner strengen klassischen Form blendete das römische Recht der frühen Kaiserzeit beim Bodeneigentum viele Bindungen, Abstufungen und Zwischenformen aus, weil es sie stillschweigend voraussetzte. Mit dieser Abstraktheit gewann es den Vorzug logischer Klarheit, bildete freilich die soziale Realität nur unzureichend ab: Nachbarrechte, Dienstbarkeiten, Schädigungsverbot, hoheitliche, genossenschaftliche, familienrechtliche und moralische Bindungen, Allmende, Bittleihe, Dauerpacht, Erbbaurecht, Nießbrauch usw. (11).

Nach dem im Westen nachhaltigen Verfall der klassischen römischen Jurisprudenz ließ der byzantinische Kaiser Justinian im 6. Jahrhundert das römische Zivilrecht im „Corpus Juris“ zusammenfassen, der einerseits die zwischenzeitliche „Vulgarisierung“ ein Stück weit zurücknahm, andererseits im Vergleich zum klassischen Recht die tatsächliche Besitzordnung stärker berücksichtigte. Zu diesem Wandel mag neben der stoischen Philosophie auch die christliche Ethik beigetragen haben (12).

Erst viele Jahrhunderte später waren die germanischen Völker für die Aufnahme dieser Rechtskultur reif, denn eine erhebliche Zeitverschiebung trennte Römer von Germanen. Als Cäsar die Gallier unterwarf, waren die Germanen noch nicht sesshaft geworden und kannten deswegen noch kein Bodeneigentum. Ende des 1. Jahrhunderts berichtet Tacitus indes über Anzeichen von Familieneigentum an festen Häusern und Hofraum, das sich in den folgenden Jahrhunderten durchsetzte. Während Gewässer, Wald und Weide noch lange als Allmende von allen gemeinsam genutztes Gemeineigentum blieben, wechselte der Acker mit der Einführung der Dreifelderwirtschaft im 8. Jahrhundert in das Privateigentum der Bauern. Wichtigste Formalität dabei war der Hammerwurf: Jeder Einzelne hatte das Recht, den Grund und Boden der Mark für sich so weit abzutrennen, wie er den Hammer schleudern konnte (13).

Durch Schenkungen der Könige an Adel und Geistlichkeit entstanden Grundherrschaften, die der Grundherr durch Leibeigene bewirtschaften ließ oder von Unfreien gegen Fronleistungen bzw. von Freien gegen Sachleistungen. Während sich dieses Feudalsystem (abgesehen von der Leibeigenschaft) auf dem Lande lange hielt, befreiten sich die Städte im 12. und 13. Jahrhundert von der Grundherrschaft und begründeten für ihre Bürger Individualeigentum am Boden.

Damit war ein Entwicklungsstand erreicht, der eine wissenschaftlich-systematische Durchdringung und Rationalisierung des Rechts nahe legte. Seit Ende des 10. Jahrhunderts schulten sich an der Universität Bologna angehende Juristen an Texten des „Corpus Juris“ Justinians. Was sich Rezeption des römischen Rechts nennt, ist keine einmalige Übernahme fremden Rechts, sondern eine allmähliche Verwissenschaftlichung des Rechts und Vermischung mit römischen Rechtsfiguren durch geschulte Juristen in Verwaltung und Rechtsprechung. (14) Im Jahre 1495 wurde lediglich durch eine neue Ordnung für das Reichskammergericht festgelegt, dass die Hälfte der Richter des römischen Rechts kundig sein mussten. Erst dadurch, dass in den folgenden Jahrzehnten auch die unteren Gerichte personell und verfahrensrechtlich nachzogen und die Stadt- und Landrechte romanisierend umgestaltet wurden, hat dieser Vorgang Breite gewonnen.

Die Auswirkungen des römischen Eigentumsbegriffs auf die Bodenverfassung blieben jedoch begrenzt. Denn die familien-, lehensrechtlichen und gutsherrlichen Bindungen des bäuerlichen Besitzrechts blieben erhalten. (15) Als Grundherrschaft blieben Kirchen und Klöster von dieser Entwicklung unberührt, während die Juristen den Klerus aus Verwaltung und Rechtssprechung verdrängten. Deswegen spricht wenig dafür, dass die Katholische Kirche die Rezeption des römischen Rechts aus eigenem Interesse förderte. Die begrenzte Wirkung des römischen Rechts auf das Bodenrecht erkennt man auch bei einem Vergleich mit den Ländern, die das römische Recht nicht übernahmen wie Skandinavien oder die Rezeption vorzeitig abbrachen wie England (16).

5  Kirchliches Bodeneigentum: Ein Modell?

Das private Bodeneigentum wirkte sich für die Kirche sehr vorteilhaft aus; es wurde für lange Zeit zur Haupteinnahmequelle. Waren es im 1. Jahrhundert noch vorwiegend arme Menschen, die sich für den christlichen Glauben entschieden, kamen ab dem 2. Jahrhundert zunehmend auch Reiche hinzu, die ihren Gemeinden neben Geld auch Liegenschaften vermachten. Der Finanzbedarf stieg ständig. Um das Jahr 250 versorgte die römische Gemeinde ca. 100 Kleriker und 1500 Hilfsbedürftige (17). In der Zeit nach Augustinus wurden bereits drei Viertel der Mittel für Hierarchie und Kultus benötigt (18). Als im 4. Jahrhundert das Christentum durch den Kaiser Theodosius zur Staatsreligion und die Katholische Kirche als juristische Person anerkannt wurde, konnte Grundbesitz auf sie selbst übertragen werden und nicht nur, wie bisher, auf die Gemeindemitglieder. Die Sorge um ihr Seelenheil beflügelte viele Menschen, der Kirche ihre Grundstücke zu schenken oder zu vererben. Ende des 7. Jahrhunderts war in Gallien ein Drittel des Grund und Bodens in kirchlichem Eigentum (19). Davon beschlagnahmten die Karolinger im 8. Jahrhundert einen großen Teil für Staats- und Militärzwecke.

Klöster erfreuten sich großzügiger Zuwendungen seitens der Eintretenden und ihrer Familien. So wurden dem im Jahre 744 gestifteten Kloster Fulda bis zu Beginn des 9. Jahrhunderts 600 große Bauerngüter gespendet; der Klosterbesitz erstreckte sich auf über 15.000 Hufen (= ca. 150.000 Hektar). Die Benediktiner-Abtei Monte Cassino umfasste im 11. und 12. Jahrhundert zwei Fürstentümer, 20 Grafschaften, 400 Städte, Flecken und Dörfer, 250 Burgen, 336 Gehöfte, 23 Häfen und 1662 Kirchen. (20) Viele Länder erließen sog. Amortisationsgesetze, um die übermäßige Anhäufung von Grundbesitz in kirchlicher Hand zu begrenzen. Auch erlaubten sich Kaiser und Könige, Vasallen und eigene Familienangehörige mit Klöstern zu beschenken.

Zum Ausgang des Mittelalters erfasste der Unwille über das Ausmaß kirchlichen Reichtums und insbesondere Grundbesitzes weite Kreise. Durch Säkularisierungen (21) verlor die Kirche in der Neuzeit den größten Teil ihres Bodens. Die 1555 vorgenommene Säkularisierung des evangelischen Kirchenguts wurde 1648 rechtlich sanktioniert. Kaiser Joseph II. von Osterreich zog 700 bis 800 Klöster ein. Im Jahr 1773 hob Papst Clemens XIV. die „Societas Jesu“ auf und begünstigte damit die Einziehung des Ordensbesitzes durch den Staat. Auf Antrag von Talleyrand, dem früheren Bischof von Autun und späteren Außenminister, erklärte am 2.11.1789 die Französische Nationalversammlung das Kirchengut zu Nationaleigentum (im Wert von vier Mrd. Francs). (22) 1798 begann der bayerische Kurfürst Karl Theodor mit päpstlicher Zustimmung die Säkularisierung.

Damit war vorbereitet, was im Jahre 1803 durch den Reichsdeputationshauptschluss geschah, der drei Kurfürstentümer (Köln, Mainz und Trier), ein Fürsterzbistum (Salzburg), 18 Reichsfürstbistümer, 80 Abteien und 200 weitere Klöster betraf. Es war zum einen eine Herrschafts-, zum anderen eine Vermögenssäkularisation. Die Ländereien der Domkapitel und bischöflichen Domänen sowie der Klöster und Stifte wurden den neuen Landesherren zugesprochen. Der Eigentumswechsel im Grundbesitz wurde quantitativ erst im Jahre 1945 übertroffen. 720 Domherrenstellen (für nachgeborene Adelssöhne) entfielen; die Zahl der Ordensgeistlichen verminderte sich erheblich. Und doch entsprach diese Entwicklung den Zielen der katholischen Aufklärung, wenngleich durch Verschleuderung wertvoller Bibliotheken und Kunstwerke und Auflösung katholischer Universitäten erhebliche bildungs- und kulturpolitische Defizite entstanden.

In Bayern wechselte über die Hälfte der Bauern ihren Grundherrn und lebten zu 65 Prozent nun auf staatlichen Domänen, bis sie das staatliche Obereigentum durch Geld ablösten. Wohlhabende Bürger, Adelige und Bauern erwarben die klösterlichen Eigenbetriebe, was eine breite Eigentumsstreuung verhinderte. Der Wegfall der Klöster als Arbeitgeber ließ Landstriche besonders im Südwesten Deutschlands verarmen. In den französisch beherrschten linksrheinischen Gebieten bewirkte die fiskalisch motivierte Nationalisierung des kirchlichen Bodens und der alsbald vorgenommene Verkauf an Wohlhabende eine Kapitalisierung des Grundbesitzes.

Im Jahr 1937 besaßen die evangelischen Landeskirchen 444.231 Hektar Grundvermögen und die katholische Kirche 257.046 Hektar. Zu 80 Prozent handelte es sich um landwirtschaftlich genutzten und verpachteten Streubesitz. (23) Im Jahr 1986 besaßen die kirchlichen Körperschaften im Bereich der EKD insgesamt 144.364 Hektar. Davon waren mit Gebäuden für kirchliche oder soziale Zwecke rund 7000 Hektar bebaut. 1553 Hektar waren im Erbbaurecht für sonstige Zwecke vergeben. Der weitaus größte Teil war landwirtschaftlich genutzt (rund 100.000 Hektar) oder Wald (rund 26.000 Hektar), was 0,7 Prozent der entsprechenden Fläche der BRD-West ausmacht. 4400 Hektar Fläche wurden als Friedhof genutzt. (24) Für die neuen Bundesländer gibt es nur unvollständige und ungefähre Angaben: ca. 170.000 Hektar landwirtschaftlich genutzte Grundstücke und ca. 30.000 Hektar Wald. (25)

Die drastische Reduzierung kirchlichen Bodeneigentums in den letzten Jahrhunderten mag eine unvermeidliche Entwicklung im Zuge von Aufklärung und Säkularisierung gewesen sein. Aus bodenreformerischer Sicht kann man sie jedoch nicht ohne Bedauern betrachten; denn hier wurden Chancen des Übergangs zu einer gerechten Bodenordnung vertan. Zumindest soweit der Boden in die Hand von Kapitalanlegern geriet, hat sich die Bodensituation verschlechtert. Verwaltung des Bodens durch eine öffentlich-rechtliche Körperschaft und Vergabe entgeltlicher Nutzungsrechte in Form von Pacht und Erbbaurecht entsprechen im Prinzip dem, was anzustreben wäre. Insofern steckt in breitem kirchlichem Grundvermögen durchaus ein zukunftsfähiges Modell. Deshalb muss man die Kirchen darin bestärken, den Restbestand ihres Bodens nicht zu veräußern, sondern ihn weiterhin zu verpachten oder in Erbbaurecht zu vergeben. So überprüfungsbedürftig die kirchliche Erbbaurechtspraxis auch im Einzelnen sein mag, ist sie doch - neben der (leider aus aktuellen finanziellen Gründen im Schwinden begriffenen) kommunalen Anwendung dieses Instruments - ein Vorbild dafür, wie wir mit Boden umgehen sollten. (26)

Dass eine unabhängige Stelle wie die Kirche für die Verwaltung des Bodens in Frage kommen kann, bestätigen auch die Hinweise Rudolf Steiners in einem Vortrag „Die Konsequenzen der Dreigliederung für Grund und Boden“: Weil Boden von Anfang an keine Ware sei, könne man über ihn auch keine Verträge abschließen. Die Verteilung des Bodens für die menschliche Arbeit sei eine demokratische Angelegenheit des politischen Staates, während „der Übergang vom Einen zum Anderen eine Angelegenheit des geistigen Gliedes des sozialen Organismus ist.“ (27)

Auch die Rückverteilung der Bodenrente wäre durch die Kirchen insoweit erfüllt, als sie seelsorgerische, kulturelle und soziale Aufgaben erfüllt. Das Bewusstsein für diesen Zusammenhang hat sich durch die Steuerfinanzierung der Kirchen sowohl in der Öffentlichkeit als auch in den Kirchen selbst verflüchtigt.

6  Katholische Soziallehre: (Dem) Eigentum verpflichtet

Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 nannte in Art. 17 das Eigentum als ein „unverletzliches und heiliges Recht“ und schützte es gegen Entzug. Das sicherten Bürger den Bürgern zu, die etwas besaßen. Als ein Recht auf gleichen Zugang zum Eigentum wurde dies nicht verstanden. Die soziale Frage des Proletariats blieb ungelöst und spitzte sich im 19. Jahrhundert weiter zu.

Konnte man annehmen, dass sich die Katholische Kirche den sozialistischen Antworten anschließen würde, angefangen von den Utopien bei Thomas Morus und Campanella bis hin zu Karl Marx Vergesellschaftung der Produktionsmittel? Zwar hatten Jesuiten-Missionare von 1609 bis 1769 in Paraguay mit über 140.000 Menschen so etwas wie einen christlich-sozialen Staat ohne Privateigentum, Erbrecht und Geld verwirklicht. (28) Das ließ sich aber nicht auf Europa übertragen. Zumindest die Sonderstellung des Bodens zu berücksichtigen, wie es die Bodenreformbewegung von Henry George (1839 - 1897) und Michael Flürscheim (1844 - 1922) tat, lag bislang nicht in der Denktradition der Katholischen Kirche. Die Emanzipation des Bürgertums im 19. Jahrhundert stützte sich gerade auf das durch grundherrschaftliche Bindungen nicht mehr beschränkte Privateigentum am Boden. Für eine neue Einschränkung dieses Rechts war die Zeit noch nicht reif.

Eine mittlere Linie verfolgend zwischen dem Individualismus der Liberalen und sozialistischem Kollektivismus beklagte Papst Leo XIII. in seiner Sozialenzyklika „Rerum novarum“ im Jahr 1891: „Das Kapital ist in den Händen einer geringen Zahl angehäuft, während die große Menge verarmt." (Ziff. 1) Vehement wandte er sich jedoch gegen die sozialistische Forderung nach Aufhebung des Privateigentums, was die arbeitende Klasse selbst schädige, die rechtmäßigen Besitzer vergewaltige und den Staat auflöse. (Ziff. 3) Ziel des Arbeiters sei es, mit dem Lohn zu irgendeinem persönlichen Eigentum zu gelangen und z.B. ein Grundstück zu erwerben, woran die Sozialisten ihn hindern wollten. Dies sei der Gerechtigkeit zuwider; „denn das Recht zum Besitze privaten Eigentums hat der Mensch von der Natur erhalten." (Ziff. 4)

Weil der Mensch im Unterschied zum Tier mit Vernunft ausgestattet sei, seien ihm irdische Güter nicht zum bloßen Gebrauche anheim gegeben, sondern er habe ein persönliches Besitzrecht, und zwar nicht nur auf Dinge, die beim Gebrauche verzehrt werden, sondern auch auf solche, welche in und nach dem Gebrauch bestehen bleiben. (Ziff. 5) Dass der Papst mit der menschlichen Vernunft Sicherheitsstreben meint, wird in der nächsten Ziffer deutlich; nur der Boden verleihe sichere Aussicht auf künftigen Fortbestand seines Unterhaltes.

Dass Gott die Erde dem ganzen Menschengeschlecht zum Gebrauch übergeben habe, stehe dem Sonderbesitz nicht entgegen; denn erst durch Bearbeitung und Pflege spende die Erde das dem Menschen Notwendige. Dadurch mache der Mensch sich den bearbeiteten Teil zu eigen. (Ziff. 7) Die Gegenmeinung, dass Bodeneigentum gegen die Gerechtigkeit sei und nur die Nutznießung des Bodens den Einzelnen zustehen könne, bezeichnete der Papst als „veraltete Theorien“ und „vereinzelte Einreden“ (Ziff. 8) und stützte sich auf das 9. und 10. Gebot, Haus und Acker des Nächsten nicht zu begehren. Wie die Wirkung ihrer Ursache folge, so folge die Frucht der Arbeit als rechtmäßiges Eigentum demjenigen, der die Arbeit vollzogen habe. (Ziff. 8) Statt zu erwägen, ob dieses Recht dann auch mit der Arbeit enden sollte, bekräftigte Papst Leo zugunsten der Familie das Erbrecht. (Ziff. 10) Auch als Ansporn zu Strebsamkeit und Fleiß müsse das Privateigentum unangetastet bleiben. (Ziff. 12, s.a. Ziff. 35) Allerdings mahnte Papst Leo auch zu gerechtem Gebrauch des Besitzes, „wobei auf standesgemäße und geziemende Ausgaben“ nicht verzichtet werden müsse. (Ziff. 19) (29)

An die Sozialpflichtigkeit des Eigentums erinnerte Papst Pius XI. in seiner Enzyklika „Quadragesimo Anno" (1931) wie auch an die Pflicht des Staates, die Eigentumsrechte entsprechend der sozialen Situation näher zu umschreiben und einzugrenzen. (Ziff. 45 ff.) Auf die Bodenfrage ging er nicht gesondert ein.

In seiner Enzyklika „Mater et Magistra“ von 1961 forderte Papst Johannes XXIII. eine breitere Streuung des Eigentums, auch an Grundstücken. (Ziff. 113 - 115) In der Pastoralkonstitution „Gaudium et Spes“ für das 11. Vatikanische Konzil 1965 wurde in Ziff. 69 die Forderung wie folgt formuliert: "Gott hat die Erde mit allem, was sie enthält, zum Nutzen aller Menschen und Völker bestimmt; darum müssen diese geschaffenen Güter in einem billigen Verhältnis allen zustatten kommen. ... Darum soll der Mensch, der sich dieser Güter bedient, die äußeren Dinge, die er rechtmäßig besitzt, nicht nur als ihm persönlich zu eigen, sondern er muss sie zugleich auch als Gemeingut ansehen in dem Sinn, dass sie nicht ihm allein, sondern auch anderen von Nutzen sein können. Zudem steht das Recht, einen für sich selbst und ihre Familie ausreichenden Anteil an den Erdengütern zu haben, allen zu. ... Wer aber sich in äußerster Notlage befindet, hat das Recht, vom Reichtum anderer das Benötigte an sich zu bringen.“

Wo riesengroßer Landbesitz nur schwach genutzt oder in spekulativer Absicht völlig ungenutzt liegengelassen werde, während die Mehrheit der Bevölkerung keine oder zu geringe landwirtschaftliche Nutzfläche habe, seien Reformen erforderlich. (Ziff. 71) Dies bekräftigte auch Papst Paul VI. in seiner Enzyklika „Populorum Progessio“ (1967, Ziff. 22 - 24) sowie in seinem Schreiben „Octogesima Adveniens“. (1971, Ziff. 8 - 12) Die drei Sozialenzykliken von Papst Paul Johannes II. „Laborem exercens“ (1981), „Sollicitudo rei socialis“ (1987) und „Centesimus Annus“ (1991) enthalten neben Erinnerungen an frühere Aussagen (Soll. 7, 21, 22, 39, 42; Lab. 21; Cent. 30 - 33) zur Bodenordnung kaum weiterführende Äußerungen. (30)

7  Protestanten

Auch protestantische Sozialethiker erkennen Privateigentum an Boden an. Mit der katholischen Soziallehre besteht weitgehend Übereinstimmung, insbesondere in Bezug auf die Individual- und Sozialnatur des Eigentums. (31) Trotz ihrer Vielstimmigkeit ist die protestantische Diskussion für die Frage nach der Berechtigung des Bodeneigentums wenig ergiebig; diese Frage wurde selten gesondert gestellt und ging in den letzten Jahrzehnten unter in der Diskussion über die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen.

Ausgehend von seiner Unterscheidung zwischen geistlichem und weltlichem Regiment erkannte Luther die sozialen Verhältnisse als gottgewollte Ordnung an und entwickelte deshalb keine politischen Reformvorschläge, sondern beschränkte sich darauf, aus dem Liebesgebot individualethische Maximen für den Umgang mit dem Eigentum zu ziehen. Gemäß dem paulinischen Wort „haben als hätte man nichts“ (1. Kor. 7, 30) war Eigentum für ihn ein Mittel zur Betätigung der Nächstenliebe. Dieser Verzicht auf die Gestaltung der politischen Rahmenbedingungen fand im Pietismus seinen stärksten Ausdruck.

Zwingli dagegen verstand seine Aufgabe primär politisch und sozial und bekämpfte deswegen Leibeigenschaft, Wucher und monopolistische Machtstellungen. Das Privateigentum war für ihn eine Erhaltungs- und Notordnung als Folge des Sündenfalls. „Du sollst dein zeitlich Gut nicht als dein Eigen haben; du bist nur ein Schaffer darüber“, mahnte er seine Zeitgenossen, um über den Wandel der Gesinnung zu einer neuen Eigentumsordnung zu kommen. (32)

Auch Calvin verstand Eigentum als Lehen Gottes. Alle Berufe, auch Handel, Gewerbe und Kapitalbesitz, haben nach Calvin dem Aufbau der heiligen Gemeinde zu dienen. Wie Max Weber gezeigt hat, haben dieses dynamische Berufsethos und Calvins Prädestinationslehre zur Entwicklung des Kapitalismus wesentlich beigetragen (33), wobei ein Umschlag in einen christlichen Sozialismus als Möglichkeit mit angelegt war und im Puritanismus gelegentlich sichtbar wurde.

Aus den letzten Jahrzehnten ist zum einen die EKD-Denkschrift „Eigentumsbildung in sozialer Verantwortung“ (1962) zu nennen. Sie forderte breitere Streuung des Eigentums am Produktivvermögen und mahnte den Gesetzgeber zu prüfen, wie ungerechtfertigter Bodenwertzuwachs verhindert werden könnte. (Ziff. 16) (34) Die umfangreichere EKD-Denkschrift „Gemeinwohl und Eigennutz" (1991) berührte nur vage fragend die Bodenordnung:
„Die Güter der Erde sollen allen Menschen und allen Geschöpfen dienen. Die Verfügung über Eigentum wie der Begründung von Eigentumsrechten sind darum Grenzen gezogen. Sorgfältiger Prüfung bedarf es, in welchen Fällen eher Privateigentum und in weichen eher Gemeineigentum dem Wohl des Ganzen dient. Privates Eigentum fördert das Bewusstsein für die konkrete Verpflichtung, die mit dem Eigentum an bestimmten Gütern verbunden ist. Gemeineigentum unterstreicht den Gesichtspunkt, dass der Gebrauch bestimmter Güter für alle Menschen lebenswichtig ist. Besonders bedeutsam werden diese Fragen heute im Blick auf die Nutzung der natürlichen Umwelt. Hier stecken noch weitgehend ungeklärte Probleme der Grenzen von Individualrechten. Die Erde ist als natürlicher Lebensraum des Menschen und aller Geschöpfe nicht beliebig verfügbares Eigentum der Menschheit. Hier müssen die Wege erst noch gefunden werden, wie die Freiheit zur Nutzung der natürlichen Ressourcen der Erde wirksam von der Verantwortung für den richtigen Gebrauch begrenzt wird. Der Grundsatz, dass Eigentum einer sozialen Verpflichtung unterliegt, kann zwar in bestimmter Weise durch Steuern und Abgaben zur Geltung gebracht werden. Aber überall, wo bisher die natürliche Umwelt - Luft, Wasser, Erde - der unbegrenzt freien Nutzung offen stand, zeigt sich heute, dass die unbegrenzte und unkontrollierte Nutzung des Gemeinguts ,Umwelt' zu schwerwiegenden Schäden für Menschen und Natur führt. Der Ruf nach einem neuen Verantwortungsbewusstsein muss noch viel mehr beachtet und in einer wirksamen Rahmengesetzgebung konkretisiert werden." (Ziff. 137)

Knapper und entschiedener formulierte das Schlussdokument der Weltkonvokation des Ökumenischen Rates der Kirchen in Korea zum Konziliaren Prozess im Jahr 1990: „Wir werden jeder Politik widerstehen, die Land als bloße Ware behandelt, die Spekulationen auf Kosten der Armen erlaubt. ... Wir verpflichten uns zur Solidarität ... mit Landarbeitern und armen Bauern, die sich für eine Bodenreform einsetzen." (Affirmation VIII)

8  Jubeljahr 2000 und Erklärung von Accra

Konkrete Anregungen für eine Bodenreform kann also sowohl das Jubeljahr des Alten Testaments geben als auch die kirchliche Bodenverpachtung und Erbbaurechtspraxis. Die übrigen Aussagen blieben insofern etwas blass, weil die Bodenordnung selten als besonderes Problem erschien, meistens in der Eigentumsfrage untertauchte und diese vorwiegend individualethisch beantwortet wurde. Doch auch dies blieb nicht ohne Wirkung. Die durch all die Jahrhunderte von den Kirchen betonte Sozialbindung des Eigentums fand ihren rechtlichen Niederschlag sowohl in der Weimarer Verfassung (Art. 153 Abs. 3) als auch im Grundgesetz: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ (Art. 14 Abs. 2 GG)

Dieser Grundsatz beeinflusst viele Teile der Rechtsordnung, insbesondere auch die Anwendung des noch ganz liberal-individualistisch geprägten § 903 des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Befugnisse des Eigentümers. Die gesetzespolitischen Schlussfolgerungen für die Bodenordnung wurden freilich bislang nur punktuell und unzureichend gezogen (z.B. im Baugesetzbuch und in Natur- und Denkmalschutzgesetzen). In der Demokratie trägt jede/r Bürger/in Mitverantwortung für die zeitgemäße Fortentwicklung des Rechts. Deshalb ist die kirchliche wie auch schulische und erzieherische Pflege einer ethischen Grundhaltung der Erde gegenüber so bedeutsam, ja Voraussetzung und wird dann fruchtbar, wenn sie in konkrete Folgerungen für die Gestaltung der rechtlichen Ordnung einmündet, zumal Unordnung ihrerseits Einstellungen zu verderben droht.

„Das Eintreten für eine Verbesserung der gesellschaftlichen Ordnung gehört zu den Diensten, über deren rechtliche Erfüllung wir Gott Rechenschaft schulden.“ (35)

Es gibt Menschen, die sich diese Ordnungsfrage aus christlicher Haltung zur besonderen Aufgabe gemacht haben: Die „Christen für Gerechte Wirtschaftsordnung“ (CGW) e.V. (36) verbinden bodenreformerische Ideen (u.a. bei Silvio Gesell, 1862 - 1930) sowohl mit den Weisheiten der altjüdischen Rabbiner als auch mit den Erkenntnissen moderner Bodenökonomie und zeigen z.B. am Instrument des Erbbaurechts, wie die Bodenrente entweder über eine sachen- oder eine steuerrechtliche Lösung abgeschöpft und rückverteilt werden könnte.

Solche Vorstellungen in die breite Diskussion zu bringen, gab es einen besonderen Anlass. In seinem Apostolischen Schreiben „Tertio Millennio Adveniente“ vom November 1994 erklärte Papst Johannes Paul II. unter Bezugnahme auf das Alte Testament das Jahr 2000 zum Jubeljahr. Die Worte und Werke Jesu waren für ihn Erfüllung der gesamten alttestamentlichen Jubeljahr-Tradition (Ziff. 12). Der Papst verstand sein ganzes Pontifikat als Vorbereitung auf dieses Jubeljahr (Ziff. 23).

Die unmittelbare Vorbereitungsphase wurde jedoch auf Drängen der Kardinäle auf die Jahre 1997 - 1999 beschränkt, weil sie fürchteten, „dass eine längere Periode schließlich zu einer Anhäufung extremer Inhalte führen und damit die geistliche Spannung dämpfen würde" (Ziff. 29). Dementsprechend mager ist der politische Gehalt der Schrift. In Ziff. 3 6 wird zwar allgemein die Mitverantwortung vieler Christen „an schwerwiegenden Formen von Ungerechtigkeit und sozialer Ausgrenzung“ beklagt. Doch konkret wird lediglich ein „erheblicher Erlass der internationalen Schulden“ erwogen. (Ziff. 51) Damit reduzierte der Papst das Jubeljahr auf den Inhalt des im Alten Testament alle sieben Jahre vorgeschriebenen Erlassjahres.

Keine Rede ist von den eigentlichen Inhalten des Jubeljahres, der Sklavenbefreiung und dem Rückfall des Bodeneigentums, als ob diese Themen nicht mehr aktuell seien. Das Gegenteil ist der Fall. Die Käuflichkeit des Bodens hat diesen zu sehr ungleich verteilter Kapitalanlage gemacht, die Wohlhabenden leistungslose Einkünfte auf Kosten aller Mieter und Konsumenten verschafft. Den Boden durch rückzuverteilende entgeltliche Nutzungsrechte unverkäuflich zu machen, bleibt deshalb eine dringende Gestaltungsaufgabe.

In einer bedeutsamen (und von vielen europäischen Vertretern nur widerwillig akzeptierten) Erklärung hat der Reformierte Weltbund zum Schluss seiner 24. Generalversammlung in Accra im August 2004 eine unzweideutige Ablehnung des neoliberalen Kapitalismus formuliert und hierin auch an die soziale Verpflichtung des Privateigentums erinnert und davor gewarnt, dass „Gaben Gottes, die für alle bestimmt sind, zum Privateigentum erklärt“ werden, allerdings ohne dies näher zu konkretisieren.

Sklavenbefreiung bedeutet heute, die durch mangelnde soziale Grundsicherung und durch Privateigentum an Produktionsmitteln und Käuflichkeit von Betrieben und Unternehmen bedingte Lohnabhängigkeit des Arbeitnehmers zu überwinden. Wenn sich Geld dank Umlaufsicherung (z.B. durch eine Liquiditätsabgabe) auch ohne Realzinserwartung leihend und investierend anböte, würde auch dieses Problem in der Weise lösbar, dass Betriebe niemandem bzw. sich selber gehören und denen zur Verfügung stehen, die darin mit guten Ideen und Fähigkeiten arbeiten. Ein umfassendes ökologisches Steuersystem unter Einschluss von Bodennutzungsentgelten würde eine soziale Grundsicherung ermöglichen, die den Menschen aus Lohnabhängigkeit, Zwang zu Erwerbsarbeit und Selbstversorgermentalität befreit und Wirtschaft zu dem werden lässt, worauf sie angelegt ist: Geschwisterliches Für- und Miteinanderarbeiten aus sozialen Antrieben und nicht aus Existenzangst.

Anmerkungen

1  So Rainer Albertz, Der Kampf gegen die Schuldenkrise - das Jobel-Jahr-Gesetz Levitikus 25, in: Der Mensch als Hüter seiner Welt - Alttestamentliche Bibelarbeiten zu den Themen des Konziliaren Prozesses (1990) S. 41/52.
2  Weitere Gleichnisse zum Verhältnis von Armen und Reichen finden sich bei Lukas, insbesondere Lk. 12, 16 - 21; 16, 19 - 31; dazu und zu diesem ganzen Abschnitt Peter Dschulnigg, Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr ... - Zur Kritik am Reichtum im Neuen Testament, in: Reichtum der Kirche - ihr Armutszeugnis, hrsg. von G. Lange (1995) S. 61 ff.
3  Siehe hierzu die unterschiedlichen Darstellungen z.B. bei Otto Schilling, Reichtum und Eigentum in der altkirchlichen Literatur (1908), der das Privateigentum ablehnende Äußerungen als „extrem“ abtut, und andererseits aus sozialistischer Sicht bei Konrad Farner, Christentum und Eigentum bis Thomas von Aquin (1947).
4  Zit. nach 0. Schilling (a.a.0. Anm. 3) S. 142.
5  Zit. nach 0. Schilling (a.a.0. Anm. 3) S. 88.
6  Zit. nach 0. Schilling (a.a.0. Anm. 3) S. 91.
7  K. Farner (a.a.0. Anm. 3) S. 64.
8  11, 2 q. 66, a. 2 ad 1 m, zit. nach Farner (a.a.0. Anm. 3) S. 99.
9  Summa theologica II, 11, 66, 7; dazu Franz Klüber, Eigentumstheorie und Eigentumspolitik - Begründung und Gestaltung des Privateigentums nach katholischer Gesellschaftslehre (1963) S. 96 f.
10  So Margrit Kennedy, Geld ohne Zinsen und Inflation (1991) S. 146.
11  Dazu Franz Wieacker, Vom römischen Recht (1961) S. 187 ff.
12  Dazu und zum Folgenden Franco Negro, Das Eigentum. Geschichte und Zukunft - Versuch eines Überblicks (1963), S. 18.
13  F. Negro (a.a.0. Anm. 12) S. 31.
14  Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung (1952), S. 73.
15  F. Wieacker (a.a.0. Anm. 14), S. 124.
16  Hierzu F. Negro (a.a.0. Anm. 12) S. 51 ff.
17  Martin Hengel, Eigentum und Reichtum in der frühen Kirche. Aspekte einer frühchristlichen Sozialgeschichte (1973) S. 51.
18  K. Farner (a.a.0. Anm. 12) S. 49.
19  K. Farner (a.a.0. Anm. 12) S. 49.
20  Ludwig Felix, Der Einfluss der Religion auf die Entwicklung des Eigentums (Entwicklungsgeschichte des Eigentums Band 3, 1889) S. 190.
21  Zum Folgenden Horst Möller, Fürstenstaat oder Bürgernation, Deutschland 1763 - 1815 (1989) S. 575 ff.
22  F. Negro (a.a.0. Anm. 12) S. 63.
23 Erich Egner, Artikel „Kirchliche Finanzen“, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften“ 5. Band (1956) S. 632/635.
24  Amtsblatt der Evangelischen Kirche in Deutschland, Statistische Beilage Nr. 81 zum Heft 2 vom 15.2.1988.
25  Gemäß Schreiben des Kirchenamtes der EKD, Hannover, v. 8.3.1996.
26  Dazu Roland Geitmann, Erbbaurecht in West und Ost, in: Fragen der Freiheit, Heft 220 (1993) S. 12 ff. und Heft 224 (1993) S. 17 ff.
27  Vom 16.6.1920, in: Soziale Frage und Anthroposophie, hrsg. v. D. Spitta (1985), S. 175/188.
28  F. Negro (a.a.0. Anm. 12) S. 47 ff.
29  Alle diese Argumente hat Henry George in seiner Schrift „Zur Erlösung aus socialer Noth - Offener Brief an Seine Heiligkeit Papst Leo XIII.“ (1893) eingehend widerlegt.
30  Dazu Roland Geitmann, Moraltheologische Orientierung zur Wirtschaftsordnung - Die drei Sozialenzykliken von Papst Johannes Paul II., in: Zeitschrift für Sozialökonomie Heft 94 (1992) S. 17 ff. Weitergehende Überlegungen (Bodennutzungsrechte, Bodenwertzuwachssteuer, progressive Grundsteuer) finden sich z. B. bei Walter Kerber SJ, Sozialethische Erwägungen zur Frage des Eigentums an Grund und Boden, in: Eigentum und Bodenrecht - Materialien und Stellungnahmen, hrsg. v. F. Henrich und W. Kerber (1972) S. 9 ff.
31  S. dazu F. Klüber (a.a.0.), S. 146 ff., Gerhard Breidenstein, Das Eigentum und seine Verteilung - Eine sozialwissenschaftliche und evangelisch-sozialethische Untersuchung zum Eigentum und zur sozialen Gerechtigkeit (1968), S. 169 ff.
32  Zitiert nach F. Klüber (a.a.0. Anm. 9) S. 157.
33  Max Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus (1904/05).
34  Noch deutlicher spricht Eberhard Müller in seiner Erläuterung hierzu von „Monopolgewinnen der Baulandspekulanten“, in: Eigentumsbildung in sozialer Verantwortung - Der Text der Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, erläutert von Eberhardt Müller (1962) S. 66.
35  Ziff. 30 der in Anm. 34 genannten EKD-Denkschrift.
36  www.cgw.de